A Ghost Story

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„A Ghost Story“ erzählt von Verlust, Trauer und den Spuren die das eigene Leben in der Zeit hinterlässt. David Lowery ist dabei nicht auf dramaturgische Zuspitzungen aus, sondern formt die Zeit selbst, in einem Märchen, das irgendwo zwischen Hans-Christian Andersen und Apichatpong Weerasethakul changiert.

Webseite: upig.de

USA 2017
Regie & Buch: David Lowery
Darsteller: Rooney Mara, Casey Affleck, Will Oldham
Laufzeit 92 Minuten
Verleih: Universal Pictures Germany
Kinostart: 07. Dezember 2017

FILMKRITIK:

Geister sind die wohl bekanntesten Projektionen der Seele. Körperlose Erscheinungen, die das repräsentieren, was die Physik nicht erklären kann. Die einfachste Darstellung eines Geistes ist eine, die wir schon als kleine Kinder kennen lernen: Ein Mensch, der sich ein Bettlaken überwirft. Regisseur David Lowery wählt eben diese infantile Form, um den Geist des jungen C (Casey Affleck) aus seinem Körper zu lösen – nur wenige Augenblicke nachdem seine Freundin M (Rooney Mara) ihn ein letztes Mal in Aufbahrungshalle sieht und sanft das Leichentuch über sein Gesicht zieht. Nur mit diesem Tuch bedeckt, wird C ihr in das gemeinsame Heim folgen, sie beobachten, aus den Augen verlieren und in ferner Zeit wieder finden.
 
„A Ghost Story“ ist ebenso wenig die Geschichte einer Heimsuchung, wie eine Reflexion über den Tod oder das Leben nach dem Tod. Weder das Sterben noch die Existenz der Seele bekommen bei Lowery einen dramatischen Raum. So zeigt der Film nicht, wie C stirbt und mit dem Tod diese Welt verlässt. Jenseits und Diesseits finden in der gleichen Realität statt. Statt von zwei Sphären, erzählt der Film von den Spuren, die das Dasein in der Zeit hinterlässt. So kehrt C als Geist in das Haus zurück, das er einst mit M bewohnt hat, versucht sie zu berühren, während sie den Schmerz über seinen Tod aus ihrem Gedächtnis zu drängen versucht, bis die Zeit langsam die Trauer zu überdauern droht und den Geist schließlich allein zurück lässt.
 
Wie die Trauer die Lebenden und die Toten im Film miteinander verbindet, erklärt sich am besten, wenn man „A Ghost Story“ in die Tradition der Märchenerzählung einordnet – irgendwo zwischen der bitteren Melancholie Hans-Christian Andersens und den Bildern, die das Kino Apichatpong Weerasethakuls seit Jahren auf der Leinwand träumt. Wie beim thailändischen Regisseur stehen die 16mm-Aufnahmen von Kameramann Andrew Droz Palermo so lange, bis in ihnen Geister zum Leben erwachen. In einem der schönsten Momente des Films stehen sich zwei dieser Gespenster an den Fenstern der Häuser gegenüber, an die sie gebunden sind. Stumm schauen sie sich an, während die Untertitel, wie in einem Dialog, von ihrer Zeit des Wartens erzählen. Das Gegenüber scheint bereits in der Zeit verloren zu sein, hat vergessen auf wen es in seinem Haus wartet, während der Geist von C selbst langsam in der Reflexion der Fensterscheibe zu verschwinden droht.
 
Lowery fängt die Zeit in diesen Momenten ein wie eine Erinnerung. Er streckt kurze Momente und hält in ihnen das fest, woran sich der Geist klammert, um nicht zu vergessen oder vergessen zu werden. Oft erinnern diese Gesten an das Kino Terrence Malicks, imitieren wie dieser in Momente einer Liebesbeziehung hineingleitet, um kurz darauf wieder davon zu schweben. Lowery ist dabei ähnlich pathetisch und dementsprechend auch angreifbar wie Malick. Doch wer das Pathos seines Films verlacht, vergisst wie angreifbar Liebe ist, wie erbärmlich Verzweiflung ist und wie schmerzhaft der Versuch sein kann, an etwas festzuhalten, das einem durch die Finger rinnt. Wer jedoch mehr zu sehen vermag, als Casey Affleck unter einem Bettlaken, versteht, dass „A Ghost Story“ mehr von Liebe und Schmerz erzählt, als ein Film, der Emotion ins Sichtbare zerrt. Lowery formt keine dramaturgisch zugespitzten Höhepunkte, er formt die Zeit selbst. Tage und Wochen vergehen in einzelnen Einstellungen, Schnitte überbrücken Jahre und Jahrhunderte. In dieser Dynamik wandelt der Geist als verlorenes Wesen durch die Geschichte, stets auf der Suche nach dem, was die Zeit transzendiert und auch dann überdauert, wenn es keine physische Verbindung mehr zum Leben gibt. „A Ghost Story“ erweckt unsere Projektion der Seele zum Leben und zeigt, dass es im Kino dazu nicht mehr braucht als ein weißes Bettlaken.
 
Karsten Munt