Allein unter Schwestern

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In der niederländischen Produktion „Allein unter Schwestern“ muss der 12-jährige Kos gemeinsam mit seinen Geschwistern das Familienhotel leiten. Das Problem ist nur, dass seine drei Schwestern gerade andere Probleme haben und sich in Kos‘ Fußballverein ein Talentscout von Ajax Amsterdam angekündigt hat. Regisseurin Ineke Houtman beweist in ihrem geistreichen, enorm vergnüglichen und immer wieder auch anrührenden Familienfilm ein großes Gespür für die Lebenswelten und Sorgen Heranwachsender.

Webseite: www.drei-freunde.de

Niederlande, Deutschland 2017
Regie: Ineke Houtman
Drehbuch:  Sjoerd Kuyper
Darsteller: Julian Ras, Frank Lammers, Abbey Hoes
Bente Fokkens, Linde van der Storm
Länge: 87 Minuten
Verleih: drei-freunde, Vertrieb: Neue Visionen
Kinostart: 21.06. 2018

FILMKRITIK:

Nachdem sein Vater einen Herzinfarkt erlitten hat, muss sich Kos (Julian Ras) um das finanziell angeschlagene Familienhotel kümmern. Zu dumm, dass ausgerechnet jetzt ein Talentscouts bei seinem Fußballverein vorbeikommen will. Hinzu kommt, dass sich der Teenager bei der Leitung des Hotels nicht auf seine Schwestern verlassen kann. Libbie (Abbey Hoes) hat Prüfungsstress, die rebellische Briek (Bente Fokkens) ist ohnehin von allem genervt und Pel (Linde van der Storm) ist schlicht noch zu klein. Da dauert es nicht lange, bis die Gläubiger auf der Matte stehen und Druck machen. Kos sieht nur eine Möglichkeit, um an Geld zu kommen: ein Sieg bei der Miss-Beach-Wahl. Doch Briek verstaut sich kurz davor den Knöchel. Da Libbie nicht teilnehmen will und Pel zu jung ist, bleibt nur eines: Kos muss sich als Mädchen verkleiden und zur Wahl antreten.

Regisseurin Ineke Houtman ist gleichermaßen im Kino wie im TV zu Hause. So inszenierte sie z.B. in den vergangenen Jahren einige Episoden der in ihrer Heimat äußerst erfolgreichen TV-Serie „Doktor Deen“. Gleichzeitig hat sie sich seit den frühen 00er-Jahren einen Namen als Regisseurin familientauglicher Filme gemacht. „Allein unter Schwestern“ ist ihr erster Kinofilm sei 2015. In der Hauptrolle ist der bekannte niederländische Jung-Darsteller Julian Ras zu sehen. Ras steht seit seinem neunten Lebensjahr vor der Kamera.

Ineke Houtman legt mit „Allein unter Schwestern“ einen turbulenten, enorm unterhaltsamen Familienfilm für Groß und Klein vor. Einen Film, der zudem den von Gefühlschaos geprägten Alltag Heranwachsender einfühlsam und glaubhaft auslotet. Dabei konzentriert sich Houtman aber nicht nur auf die Befindlichkeiten und das Innenleben von Kos, der von Julian Ras mit viel Ausdruck und Besonnenheit verkörpert wird. Auch mit dem Kummer und den Nöten der Schwestern befasst sich der Film ausgiebig. Es ist ein intelligenter Schachzug, die Lebenswelten der Figuren in den unterschiedlichen Altersstufen bzw. Etappen des Erwachsenwerdens anzusiedeln.

So hat die schwer pubertäre Briek ganz andere Interessen und Probleme als die ein paar Jahre ältere Libbie. Und die jüngste von allen, Pel, leidet ohnehin am meisten unter dem Fehlen der Mutter, die vor ein paar Jahren ums Leben kam. Am Beispiel von ihr widmet sich Houtman einfühlsam dem Schmerz junger Menschen, denen die wichtigste Bezugsperson abhanden gekommen ist. Pel gehören demnach auch einige der rührendsten Momente im Film. Doch geht es in „Allein unter Schwestern“ bei Weitem nicht nur um die Themen Verantwortung, Verlust, Trauer und Identitätsfindung. Auch das erste Verlieben und die ganz großen Träume werden thematisiert, und zwar in Gestalt von Kos. Er träumt von einer großen Fußball-Karriere und ist heimlich in seine Mitschülerin verliebt.

Pfiffig und schräg wird es gerade im letzten Drittel. Und zwar sobald sich Kos in Frauenkleider wirft und Schminke aufträgt, um die Gewinnsumme bei der Miss-Wahl abzusahnen. In Zuge seiner „Verwandlung“ kommt es zu etlichen heiteren Missverständnissen und ulkigen Zufällen. Pointiert und augenzwinkernd bedient sich Houtman dabei nicht zuletzt gängiger Geschlechter- und Rollenbilder-Klischees, nur um sie kurz darauf auf schwarzhumorige Weise bewusst ins Absurde zu verkehren.
Gelungen ist zudem, wie die Regisseurin ganz am Schluss zwei gegensätzliche Dinge miteinander vereint: Glück und Pech, Sieg und Niederlage. Da sieht man dann auch darüber hinweg, dass die musikalische Untermalung hier und da zu aufdringlich erscheint und vom Geschehen auf der Leinwand ablenkt – die einzige nennenswerte Schwäche des Films.

Björn Schneider

Ein alleinerziehender Vater von vier Kindern muss nach einem Herzinfarkt ins Krankenhaus. Seine Sprösslinge sollen sich in der Zeit um das gemeinsame Hotel kümmern. Da ist Chaos vorprogrammiert! Die Niederländerin Ineke Houtman erzählt in „Allein unter Schwestern“ von Gender-Klischees und der ersten großen Liebe und überzeugt trotz einiger irritierender Regieentscheidungen.
 
Der 12-jährige Kos (Julian Ras) hat es nicht leicht. Der talentierte, von Mädchen umschwärmte Nachwuchs-Fußballer wohnt nach dem Tod der Mutter mit den drei Schwestern Libbie (Abbey Hoes), Briek (Bente Fokkens) und Pel (Linde van der Storm) sowie seinem Vater (Frank Lammers) in einem Hotel an der holländischen Küste. Doch um das „Hotel zum großen L“ steht es schlecht – als Kos‘ Vater aufgrund eines Herzinfarkts auch noch ins Krankenhaus eingeliefert wird, müssen die vier Geschwister das Haus am Laufen halten. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn die Kinder liegen überhaupt nicht auf einer Wellenlänge. Erst als sich ein Gerichtsvollzieher ankündigt, beginnen sie, am selben Strang zu ziehen. Die vier müssen innerhalb weniger Tage 7000 Euro auftreiben, um zu verhindern, dass das Hotel und damit ihr Zuhause geschlossen wird. Als ganz in der Nähe eine mit einem hohen Preisgeld dotierte Misswahl für Mädchen von 12 bis 18 Jahren stattfindet, wittern die Vier ihre große Chance. Doch damit fängt das Chaos erst an…

In den USA dürfen schon Kleinkinder an Misswahlen teilnehmen. Hierzulande hat sich eine solche Kultur glücklicherweise nie etabliert, im Gegenteil: Wer bei seinen kleinen Mini-Mes schon in ganz jungem Alter an Erfolg und Vermarktung denkt, wird in der Regel harsch von den Medien und seinem Umfeld kritisiert. Insofern wirkt es doch arg befremdlich, was sich der niederländische Drehbuchautor Sjoerd Kuyper („Das Taschenmesser“) für sein neuestes Kinderfilm-Skript hat einfallen lassen: In seiner Geschichte findet eine Misswahl für junge Mädchen statt, die im Laufe des Films nicht nur im Bikini posieren sollen, sondern von ihrer Trainerin sogar dazu animiert werden, mit nach vorne gestreckten Brüsten und einem sexy in Szene gesetzten Hintern die Jury zu verführen. Das wirkt alles ganz schön befremdlich und hätte „Allein unter Schwestern“ abseits davon nicht bloß eine smarte Pointe, sondern auch unzählige andere gelungene Aspekte vorzuweisen, käme man wohl kaum auf die Idee, hier auch nur irgendeine Empfehlung auszusprechen. Doch die Familien-Tragikomödie ist neben einer rührenden Erzählung über familiären Zusammenhalt eigentlich auch eine ungeheuer charmante Auseinandersetzung mit gängigen Genderklischees – und manchmal muss man diese eben erst einmal bedienen, um sie anschließend zu unterwandern.

Vor allem deutschen (Kinder-)Filmen lässt sich immer wieder eine gewisse Prüderie vorwerfen. In „Allein unter Schwestern“, der zwar mit deutschen Geldern mitfinanziert wurde, jedoch in erster Linie eine niederländische Produktion ist, wird ganz selbstverständlich über Sex gesprochen und schon die Aller kleinsten wissen um die Existenz von Homosexualität. Umso größer ist eben die Fallhöhe zur fragwürdigen Misswahl-Idee, doch wenn sich Hauptfigur Kos gen Ende darüber aufregt, dass nur Mädchen an Misswahlen teilnehmen dürfen, während er zuvor ganz selbstverständlich in Frauenkleider geschlüpft ist (und dabei eine alles andere als schlechte Figur macht!) dann offenbart sich, welche Intention hinter „Allein unter Schwestern“ steckt. Das ist ohne den notwendigen inszenatorischen Nachdruck zwar ein wenig unbeholfen und auch besagte Trainingsszene hätte deutlich mehr Augenzwinkern und vielleicht sogar einen satirischen Unterbau vertragen, um die Absurdität derartiger Veranstaltungen zu entlarven. Aber immerhin erkennt man, dass die Macher eine solch frühe Fixierung auf den weiblichen Körper nicht gutheißen und der bittere Nachgeschmack bleibt aus.

Trotzdem hätte es den Subplot rund um die Misswahl, die „Let’s Dance“-Jurymitglied Jorge González zu einem Gastauftritt verhilft, nicht gebraucht. „Allein unter Schwestern“ ist nämlich vor allem in der Interaktion unter den vier Geschwistern am stärksten – drei Pubertierende unter einem Dach (und eine, die davon noch weit entfernt ist) sorgen eben mächtig für Zündstoff. Dabei bleiben auch unangenehme Themen nicht aus: Eine Szene, in der Kos damit konfrontiert wird, als Junge überhaupt nicht von seinen Eltern gewollt gewesen zu sein, da seine Mutter immer nur Mädchen haben wollte, gibt den rauen Tonfall vor, der davon lebt, dass in „Allein unter Schwestern“ kein Blatt vor den Mund genommen wird. Wie die Familie in den entscheidenden Momenten aber eben doch zusammenhält, inszeniert Ineke Houtman („Stille Nacht“) mit viel Fingerspitzengefühl, das am Ende auch dafür sorgt, dass man sich in die Kopf stehenden Gefühlswelten der jungen Protagonisten hervorragend hineinversetzen kann.

Antje Wessels