Amerikanisches Idyll

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Das engagierte Regiedebüt des Schauspielers Ewan McGregors wirft einen Blick auf die politisch turbulenten 1960er Jahre der US-Geschichte. Dem talentierten Schotten, der zugleich die männliche Hauptrolle übernahm, gelingt damit ein anrührendes Familiendrama, um eine bewegende Vater-Tochter-Beziehung. Spannend wie ein Agententhriller schildert er wie sich der vielgepriesene „Amerikanische Traum“ jäh in einen Alptraum verwandelt. Die familiäre Idylle kippt, als die Proteste gegen den Vietnamkrieg eskalieren und sich ausgerechnet Tochter Merry einer radikalen Gruppe anschließt. Freilich ist der historische Zeitgeist der Romanvorlage des Pulitzerpreisträgers Philipp Roth geschuldet. Ihn interessierten weniger die Hintergründe der damaligen Protestbewegung als seine Klage über gebrochene Versprechen von Wohlstand, Ordnung und häuslichem Glück.

Webseite: www.tobis.de

USA, 2016
Regie: Ewan McGregor
Drehbuch: John Romano
Darsteller: Ewan McGregor, Dakota Fanning, David Straithairn, Jennifer Connelly, Rupert Evans, Peter Riegert, Molly Parker, Uzo Aduba, Valorie Curry.
Länge: 126 Minuten
Verleih: Tobis
Kinostart: 17. November 2016
 

FILMKRITIK:

Seymour Levov (Ewan McGregor) ist der ideale Repräsentant des „amerikanischen Idylls“, dieses vielbeschworenen Schmelztiegels, in dem Menschen aus aller Herren Ländern zu glücklichen Amerikanern werden sollen. In dem Sohn des millionenschweren Handschuhfabrikanten Lou (Peter Riegert) kulminieren der soziale Aufstieg, die Amerikanisierung seiner Familie, deren Vorfahren als bitterarme jüdische Einwanderer in die Neue Welt kamen. Schon als Schüler war er der Stolz seiner Highschool. Aufgrund seiner Statur und blonden Haarpracht wird er nur „der Schwede“ genannt.

Als der „Schwede“ und beliebte Captain des Football-Teams sich dann noch die hübsche „Miss Jersey“ Dawn (Jennifer Connelly) schnappt und heiratet, scheint das Glück perfekt. Auch sein Schulkamerad Nathan Zuckerman (David Straithairn) bewundert diese makellose Existenz. Doch bei einem Schultreffen erfährt er von Seymours Bruder Jerry (Rupert Evan) wie bitter der Schein trügen kann. Denn als sich Seymours heranwachsende Tochter (Dakota Fanning) einer Gruppe Vietnamkriegsgegner anschließt und in den Untergrund geht, gerät sein Leben total aus den Fugen. In einer langen Rückblende erzählt das anrührende Familiendrama von dieser bewegenden Vater-Tochter-Beziehung.

Dabei überzeugt Ewan McGregor als Hauptdarsteller in jeder Minute mit seiner Interpretation eines Mannes, der seine Tochter so sehr liebt, dass er in eine existenzielle Krise rutscht, Aber auch Oscarpreisträgerin Jennifer Connelly brilliert in der Rolle der gebrochenen Ehefrau und Mutter. Eine tragische Mutterfigur, die den Kontakt zu ihrem einzigen Kind nicht halten kann. Stattdessen taumelt sie am Rande des Nervenzusammenbruchs und droht vor Trauer wahnsinnig zu werden. Doch im Gegensatz zu ihrem Mann verdrängt sie erfolgreich. Beginnt eine Affäre mit einem Künstler und stellt ihr Leben komplett auf den Kopf. Die Kamera braucht nur wenige Großaufnahmen von ihrem Gesicht, um den ganzen Schmerz deutlich zu machen, der auf dieser einst für ihre umwerfende Schönheit bewunderten Frau lastet.

Ewan McGregor ist die „Trainspotting“-Ikone, der Obi-Wan Kenobi der „Star Wars“-Saga, Roman Polanskis „Ghostwriter“: Der talentierte, sympathische Schotte kann nicht umsonst auf zwanzig Jahre Filmerfahrung zurückgreifen. Seine geradezu klassische Inszenierung verzichtet auf schnelle Schnitte. Gleichzeitig lässt er seinen Figuren Raum sich zu entfalten. „Ich habe das Glück gehabt, von vielen talentierten Regisseuren zu lernen“, bekennt er. Für den 45jährigen, der niemandem mehr etwas beweisen muss, handelt sein dicht gestaltetes Drama im Kern vom Verlust einer Tochter, einer komplizierten Vater-Kind-Beziehung in Auflösung. „Ich fand darin mich selbst, meinen Vater“, erklärt er, „und eine unerhört spannende Epoche der zerbrechenden Illusionen in der amerikanischen Geschichte“.

Dass dabei trotz Archivaufnahmen die Protestbewegung samt Gegenkultur-Ära der Love-and-Peace-Generation etwas verzerrt wirkt, kann man ihm kaum vorwerfen. Denn bereits die Romanvorlage des Pullitzer Preisträgers Philip Roth zeichnet dieses Bild. Die ausweglose Situation der US-Protestbewegung zu reflektieren war sicher nicht sein Anliegen. Wer die Geschichte der radikalen Antikriegs-Protestbewegung als Teil der amerikanischen Historie im Kino wirklich erfahren will, sollte deshalb lieber das vielschichtig Politdrama „Die Akte Grant“ von Altmeister Robert Redford oder das Mitte der 1980er Jahre gedrehte Coming-of-Age Drama „Flucht ins Ungewisse“ des verstorbenen Meisterregisseur Sidyney Lumet heranziehen.

Luitgard Koch