Bibi & Tina – Tohuwabohu Total

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Eigentlich wollte Detlev Buck („Rubbeldiekatz“) seine „Bibi & Tina“-Reihe nach dem dritten Teil „Mädchen gegen Jungs“ beenden, doch „aus gegebenem Anlass in der Welt“ inszenierte er nun doch einen vierten Teil. Und das ist gut so! Das vermutliche Endstück „Tohuwabohu Total“ komplettiert die generell starke Jugendfilmreihe nämlich auf famose Weise. Noch mehr als zuvor verhandeln Buck und die Drehbuchautorin Bettina Börgerding auf unverkrampfte Weise gesellschaftlich akute Themen, allen voran die Flüchtlingskrise und Zwangsverheiratungen. Die Probleme nimmt der Abenteuerfilm Ernst, vergisst aber nicht den unbekümmerten bis actionreichen Spaßfaktor, der die „Bibi & Tina“-Filme seit jeher auszeichnet. Das Ergebnis ist pädagogisch, emanzipatorisch und unterhaltungstechnisch wertvoll.

Webseite: www.bibiundtina.de

Deutschland 2017
Regie: Detlev Buck
Drehbuch: Detlev Buck, Bettina Börgerding
Darsteller: Lina Larissa Strahl, Lisa-Marie Koroll, Lea van Acken, Ilyes Moutaoukkil, Altamasch Noor, Max von der Groeben, Louis Held, Emilio Sakraya, Joachim Meyerhoff, Winnie Böwe
Laufzeit: 110 Min.
Verleih: DCM Film Distribution
Kinostart: 23. Februar 2017

FILMKRITIK:

Zum vierten Mal vereint Detlev Buck seine Hauptdarstellerinnen Lina Larissa Strahl und Lisa-Marie Koroll als Popkultur-Ikonen Bibi und Tina. Auch weil Strahl und Koroll inzwischen 20-jährige Teenagerinnen sind, bietet es sich an, die Kinoreihe inhaltlich erwachsener zu gestalten. Daneben schauen fast alle der lieb gewonnenen Figuren zumindest in Gastauftritten vorbei, darunter der wie immer gebeutelte Graf von Falkenstein (Michael Maertens) sowie die Boyfriends Alex und Tarik (Louis Held & Emilio Sakraya). Neu dabei ist die aus „Kreuzweg“ und „Das Tagebuch der Anne Frank“ bekannte Lea van Acken.
 
Bei einem sommerlichen Reitausflug treffen Bibi und Tina den Ausreißer Aladin (Lea van Acken) aus den Bergen Nordalbaniens, der vor seinem Onkel Igor und den Cousins Ardonis und Luan (Albert Kitz, Oktay Inanc Özdemir, Salah Massoud) flieht. Bald kommt raus, dass Aladin ein Mädchen namens Adea ist und auf Geheiß des Onkels zwangsverheiratet werden soll. Dabei möchte Adea lieber weiter zur Schule und später studieren gehen. Natürlich erkennen Bibi und Tina das Unrecht und stehen Adea tatkräftig zur Seite. Bald stoßen auch die Brüder Sinan und Karim (Altamasch Noor & Ilyes Moutaoukkil) dazu, zwei Flüchtlinge aus Syrien, die sich nach Berlin durchschlagen wollen. Doch Adeas Verfolger lassen nicht so einfach locker...
 
Wie die Vorgänger inszeniert Detlev Buck „Tohuwabohu Total“ auf Augenhöhe mit dem Zielpublikum und liefert keine allzu leichten Antworten. Das zeigt sich auch darin, dass Bibis Zauberkünste die Konflikte nicht lösen können. Bei der Verhandlung der Flüchtlingsthematik zelebriert Buck keine naive Willkommenskultur, sondern thematisiert auch Probleme, die im Zusammenleben verschiedener Kulturen auftreten können. Zwar kann Bibis Sprachzauber die babylonische Sprachverwirrung umschiffen, doch die Vorstellungen unterscheiden sich. Der Flüchtlingsjunge Sinan empfiehlt Adea, auf ihre Eltern zu hören, und führt ihren Onkel schließlich sogar auf die Spur des Mädchens. Was die Zwangsverheiratung angeht, kommt die Frage auf, ob Bibi und Tina moralisch überhaupt das Recht haben, sich in die von Adeas Verwandtschaft als „Ehrensache“ empfundene Verheiratung einzumischen. Herrschen in anderen Ländern vielleicht schlicht andere Sitten?
 
Bei aller Ernsthaftigkeit vermittelt Buck seine Botschaft aber freilich mit viel Humor. Der profitsüchtige Baulöwe Dirk Trumpf (Joachim Meyerhoff) zieht mit seinem großspurigen Gebaren und seiner blonden Donald Trump-Gedächtnismatte den neuen US-Präsidenten durch den Kakao. Alle anderen Figuren stehen dem geplanten Bau seines Trumpf-Walls ablehnend gegenüber, zumal er dafür des Grafen Bäume fällen will. Wenn Bibi Adeas sturen Macho-Onkel kurzzeitig in einen Ziegenbock verwandelt, ist das ebenfalls komisch, doch die Bewältigung des Konflikts kann Bibi nicht herbeizaubern.
 
Abseits des Realitätsbezugs fühlt sich der in Berlin-Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Kroatien gedrehte „Tohuwabohu Total“ wie ein waschechter „Bibi & Tina“-Film an. Die Freundinnen reiten in satten Hochglanzbildern die Elbe entlang, über weite Wiesen und in den Sonnenuntergang. Das Prunkstück der Inszenierung ist eine ausladende Verfolgungsjagd über ein Feld, die so spannend und actionreich ist, dass man sie als eine der besten Actionszenen bezeichnen kann, die das deutsche Kino seit den klassischen „Winnetou“-Filmen hervorgebracht hat.
 
Die Erwachsenen sind standesgemäß extrovertiert, die Erzählweise überdreht und die simplen Computereffekte charmant. Außerdem gibt es erneut viele als Musikvideos aufgelöste, oft sehr emotionale Playback-Gesangseinlagen und das Konzert einer Multikulti-Band, die für Frieden und Völkerverständigung eintritt. Ein emanzipatorischer Rap über deutsche Mädchen greift das Gender-Leitthema aus Teil 3 auf, das Buck auch fortführt, wenn der kecke Karim abwechselnd Bibi und Tina den Hof macht oder Adeas Cousin Valentin (Karim Düzgün Günes) seine Homosexualität verheimlicht. Die smartesten sind bei alldem ganz selbstverständlich die Mädchen. Dass diese keine Schulbildung brauchen, wie Adeas Onkel meint, erscheint daher umso absurder. Eine Frage drängt sich in diesem Kontext aber auf: Warum wurde Adea mit der Schleswig-Holsteinerin Lea von Acken und nicht mit einer Albanerin besetzt?
 
Gegen ein weiteres „Bibi & Tina“-Abenteuer wäre nichts einzuwenden, andererseits will man die toll eingespielten Nachwuchsdarstellerinnen Lina Larissa Strahl und Lisa-Marie Koroll nun gern mal in erwachseneren Rollen sehen. Und Detlev Buck soll einen Western machen, bitte!
 
Christian Horn