Cold in July

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Eine Familie wird in ihrem Zuhause überfallen, der Eindringling vom Vater in Notwehr erschossen. So beginnt Jim Mickles kühler, perfekt konstruierter Achtziger-Jahre-Rache-Thriller „Cold in July“, der schon bald eine überraschende Wendung nehmen soll. Unterlegt von einem atmosphärischen Synthie-Pop-Soundtrack und großartig besetzt (Michael C. Hall, Sam Shepard, Don Johnson) gelingt dem Film das seltene Kunststück, packendes Genrekino mit Tiefgang und moralischen Fallstricken zu verbinden. Die Sogwirkung der Geschichte ist gewaltig. 

Webseite: www.upig.de

USA 2014
Regie: Jim Mickle
Drehbuch: Nick Damici nach einem Roman von Joe R. Lansdale
Musik: Jeff Grace
Darsteller: Michael C. Hall, Sam Shepard, Vinessa Shaw, Don Johnson, Wyatt Russell
Laufzeit: 109 Minuten
Verleih: Universal Pictures Germany
Kinostart: n.n.
 

FILMKRITIK:

Das Setup klingt bekannt und erinnert an einen typischen „Home Invasion“-Thriller amerikanischer Prägung. Eine unbescholtene Kleinfamilie (Vater, Mutter, kleines Kind) wird in ihrem Zuhause von einem Albtraum eingeholt, der von einer Sekunde auf die nächste das Leben aller Beteiligten für immer verändern soll. Ein Einbrecher schleicht sich nachts in das Haus, wo er von Vater Richard („Dexter“-Darsteller Michael C. Hall) überrascht und augenscheinlich in Notwehr erschossen wird. Später stellt sich heraus, dass der Eindringling unbewaffnet war. Der Vorfall wird zum Stadtgespräch und Richards Familie fortan misstrauisch beäugt. Auch Richards Ehe mit Ann (Vinessa Shaw) erhält erste Risse, welche durch das plötzliche Auftauchen des Vaters (Sam Shepard) des getöteten Einbrechers nur noch größer werden. Die Familie fühlt sich bedroht und in ihrem eigenen Zuhause trotz Polizeischutz längst nicht mehr sicher.
 
Tatsächlich ist die Handlung bis zu diesem Punkt nur der Auftakt für einen wendungsreichen, weitaus vertrackteren, moralisch fordernden Film, der mit seinen Haken und seiner Dramaturgie bis zum durchaus blutigen Finale die Spannung hoch hält. Regisseur Jim Mickle („We are what we are“) ist erfahren im Umgang mit Genrekost und doch fällt „Cold in July“ etwas aus dem Rahmen seiner bisherigen Arbeiten. Eingebettet in einen klassischen 80er-Jahre-Revenge-Hintergrund samt stimmungsvollen Synthie-Pop-Soundtrack – „Drive“ lässt grüßen – bietet die Geschichte beste Thriller-Unterhaltung, in der schon bald moralische Grenzen und Urteile verschwimmen. Vieles ist hier unscharf und zunächst nicht genau zu lokalisieren. Immer wieder wird der Zuschauer gezwungen, sein Urteil über bestimmte Personen zu überdenken und letztlich sogar zu revidieren. Schon daran zeigt sich die große Qualität dieses Films, der mehr als einmal aus seinen zunächst scheinbar klar abgesteckten Grenzen mit großer Souveränität ausbricht.
 
Krimi-Autor Joe R. Lansdale – Genrefans bekannt für seine Novelle zum Kultfilm „Bubba Ho-tep“ – lieferte die Vorlage für den zugleich als Verbeugung vom Thrillerkino der 1980er-Jahre erdachten „Cold in July“. Tatsächlich spürt man sehr deutlich den Geist dieses bis heute im US-Kino sehr präsenten Jahrzehnts, das von Regisseuren wie John Carpenter und Walter Hill auf der Genreseite maßgeblich geprägt wurde. In diesem Fall gelingt es Jim Mickle, den Film nicht bloß als Achtziger-Jahre-Konstrukt zu verpacken sondern auch die Unberechenbarkeit und Härte der damaligen Geschichten in seine Arbeit zu übertragen. Nie kann man sich hier wirklich sicher fühlen. Nach einer guten halben Stunde wandelt sich der anfangs geradlinige Home-Invasion-Thriller in ein zunehmend schmutziges Crimedrama mit ironischen Untertönen, für die sich vor allem der von Don Johnson großartige verkörperte Privatermittler verantwortlich zeichnet.
 
Der ehemalige „Miami Vice“-Star – noch so ein „Kind“ der Achtziger – gab zuletzt in Quentin Tarantinos „Django Unchained“ sein Leinwand-Comeback. Mit Mitte 60 ist Johnson besser denn je. Sarkastisch, cool, sexy. Sein Vollblut-Texaner wird zum heimlichen Hauptdarsteller in Mickles kantigem, unberechenbarem Drei-Männer-Western, in dem alles auf das große, blutige Finale hinausläuft. Auf dem Weg dorthin begleiten wir den wieder einmal ganz in seiner Rolle versunkenen Michael C. Hall, der als tief verunsicherter Familienvater seine alten Serien-Rollen weit hinter sich lässt, und einen eher leisen, dafür umso resoluteren Sam Shepard. Mit seiner konsequent vorgetragenen Konklusion sorgt „Cold in July“ nicht nur für reichlich Genre-Nostalgie sondern auch für schweißnasse Hände und so manch eiskalten Schauer.
 
Marcus Wessel