Demolition – Lieben und leben

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Der Tod seiner Frau bringt einen desinteressierten Investment-Banker zum radikalen Lebenswandel. Konsequent und lustvoll nimmt er alles auseinander, um herauszufinden, was im Inneren nicht stimmt. Jake Gyllenhaal brilliert in dieser verrückten und sehr lebendigen Tragikomödie des Kanadiers Jean-Marc Vallée („Dallas Buyers Club”, „C.R.A.Z.Y. - Verrücktes Leben“)

Webseite: www.fox.de/demolition

USA 2015
Regie: Jean-Marc Vallée
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Naomi Watts, Chris Cooper, Judah Lewis, C.J. Wilson, Polly Draper
Länge: 101 Minuten
FSK: ab 12
Verleih: Twentieth Century Fox
Kinostart: 16.6.2016
 

FILMKRITIK:

Jake Gyllenhaal ist die Idealbesetzung für den schwerreichen Risiko-Investor Davis, dessen Leben nach dem Tod seiner Frau auseinanderfällt. Neben Auftritten in vernachlässigbaren Großproduktionen sieht man den Schauspieler immer wieder als Demonteur bürgerlicher Existenzen. Schon in Gyllenhaals erstem großem Erfolg „Donnie Darko“ (2000) wurde die traute Familien-Welt von einer Flugzeugturbine zertrümmert. Als Afghanistan-Veteran in „Brothers“ kommt er nach einer Gefangennahme nie wieder richtig zuhause an. Selbst als Boxer „Southpaw“ demoliert Gyllenhaal nach dem Tod seiner Film-Frau die luxuriöse Wohnung. In „Enemy“ von Denis Villeneuve sah man ihn tatsächlich in einer Doppelrolle „neben sich“ stehen, leben und lieben. Bis alles in einem großen Knall endete.
 
Diesmal beginnt das begeisternde und bewegende Drama „Demolition“ mit fast dem gleichen Knall: Ein heftiger Autounfall reißt ihm die Ehefrau buchstäblich von der Seite weg. Ironischerweise bringt ausgerechnet dieser Tod den Mann, der auch in der Ehe immer so emotionslos und unbeteiligt war, ins Leben zurück. Ein nichtiger Anlass - der Süßigkeiten-Automat im Krankenhaus verweigert einen Riegel - führt zu einem Beschwerde-Brief, der immer mehr zur sehr persönlichen Lebens-Abrechnung wird.
 
Bei auch äußerlich heftiger Veränderung wandelt sich Davies radikal. Auf die Frage „Was fühlst du?“ zieht er im Zug zur Arbeit die Notbremse. Wie gerade erwacht, sieht er Sachen zum ersten Mal. Und kann nicht mehr ertragen, dass etwas nicht funktioniert. Sein neues Credo: „Wenn man etwas reparieren will, muss man es auseinander nehmen!“ Angefangen mit dem tropfenden Kühlschrank, den seine Frau immer beklagte, wird nun alles bis auf die letzte Schraube demontiert. Die quietschende Toilettentür auf der Arbeit, die Lampe bei den Schwiegereltern, und die alte Standuhr im Büro von Schwiegerpapa ist ungeheuer verlockend. Einer von vielen komischen Momenten dieser emotionalen Achterbahnfahrt. Denn nach einer verrückten und euphorischen Phase anarchischer Zerstörung von „allem, was uns kaputt macht“, folgt endlich das Anerkennen einiger übersehener Wahrheiten und vor allem der Trauer.
 
Parallel ruft die Frau vom Automaten-Kundendienst ihn mitten in der Nacht an und stalkt Davies fortan auf kuriose Weise. Diese Karen (Naomi Watts) ist alleinerziehende Mutter, die sich von dem neuen, durchgeknallten (Auf-) Leben des frischen Witwers erst zögerlich, dann sehr gerne mitreißen lässt. Sie ist Kifferin und verrückt, wie der 15-jährige Sohn meint. Der ist von der Schule geflogen und findet in Davies schnell einen guten Kumpel. Bei Schießübungen mit echter Munition erweist sich der Erwachsene aber auch als unverantwortlich für andere. Was trotzdem sehr spaßig ist, wenn die beiden lustvoll das Haus von Davies demolieren – mit einem Bulldozer von Ebay. Gyllenhaal trumpft mit seinem traurigen Blick auf - und dann unglaublich cool , wenn er seinem Davis freien Lauf lässt. Naomi Watts beweist erneut ihre Wandlungsfähigkeit.
 
Regisseur Jean-Marc Vallée („Dallas Buyers Club”, „Der große Trip – Wild”, „Young Victoria“) machte international erstmals 2005 mit „C.R.A.Z.Y. - Verrücktes Leben“ auf sich aufmerksam, einer grandios tragikomischen Familien-, Schwulen- und Musikgeschichte. Um gute Musik drehte sich auch der in Deutschland völlig untergegangene „Café de Flore“ mit Vanessa Paradis, in dem es bereits das Motiv von Trauer und Abschied gab, verquickt mit einer mysteriösen Parallelkonstruktion. Große Gefühle treiben nun auch „Demolition“, die neue Geschichte von Vallée an. Es gelingt ihm, sie universell in seinem Universum aus Popmusik, Kindheitserinnerungen und mitreißenden Glücksmomenten zu verankern. Selten hat Trauer so viel Spaß gemacht. Der kanadische Regisseur schafft es erneut, das Außergewöhnliche mit nur dezent vom Konventionellen abweichenden Mitteln mitfühlen zu lassen. Damit entspricht sein Stil dem Blick auf seine Figuren, die bei all ihren extrem Situationen und Reaktionen doch immer sehr vertraut und fast bodenständig menschlich bleiben. Ein besonderes Kino-Erlebnis, bei dem sich der Hollywood-Star Gyllenhaal mal wieder von seiner anderen, besseren Seite zeigt.
 
Günter H. Jekubzik