Durch die Wand

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Vor drei Jahren bezwangen zwei Extrem-Bergsteiger aus den USA die berühmte „Dawn Wall“ im kalifornischen Yosemite-Nationalpark. Die massive, von ihrer glatten Oberfläche geprägte Felswand galt als unbezwingbar. Wie die Freeclimber den Aufstieg schafften und mit welchen Gefahren sie zu kämpfen hatten, zeigt die mitreißende Dokumentation „Durch die Wand“, die es in Sachen Spannung und Nervenkitzel mit jedem Hitchock-Thriller aufnehmen kann.

Webseite: www.24-bilder.de

USA, Österreich 2018
Regie: Josh Lowell, Peter Mortimer
Drehbuch: Josh Lowell, Peter Mortimer
Darsteller: Tommy Caldwell, Kevin Jorgeson
Länge: 100 Minuten
Kinostart: 04. Oktober 2018
Verleih: 24 Bilder / Red Bull Media House

FILMKRITIK:

Tommy Caldwell gehört zu den erfolgreichsten Bigwall-Kletterern der Welt. Seine Leidenschaft sind besonders steile Wände, für die es bislang noch keine kletterbaren Routen gibt. 2015 versuchte er sich an der „Dawn Wall“ im US-Nationalpark Yosemite. Die senkrecht abfallenden Flanken des Felsvorsprungs ragen bis zu einen Kilometer in die Luft. Auf der 19 Tage dauernden Erstbesteigung wurde Caldwell von seinem Seilpartner Kevin Jorgeson begleitet. Während dieser Zeit schliefen und aßen Caldwell und Jorgeson stets über dem tiefen Abgrund. „Durch die Wand“ begleitet die Zwei bei ihrem waghalsigen Unterfangen.

Der heute 40-Jährige Coldwell, der seit knapp 25 Jahren als Sportkletterer aktiv ist, hat bereits jetzt ein bewegtes Leben hinter sich. So wurde er im Jahr 2000 bei einer Expedition in Kirgisistan von islamistischen Rebellen entführt. Die Befreiung aus den Fängen der Islamischen Turkestan-Partei gelang erst nach sechs Tagen. Ein Jahr später hatte er einen Unfall mit einer Tischsäge, bei dem er seinen linken Zeigefinger verlor – für einen Kletterer ein großes Handicap.

Von der ersten bis zur letzten Einstellung ist den beiden erfahrenen Bergfilmern Josh Lowell und Peter Mortimer mit „Durch die Wand“ eine atemberaubende, ungemein spannende Doku gelungen. Der Suspense-Faktor ist durchgehend hoch, auch deshalb, weil Lowell und Mortimer ihren Film dramaturgisch wie einen dringlichen, schweißtreibenden Mix aus Thriller und Survival-Abenteuer anlegen. Den Aufstieg von Caldwell und Jorgeson schildern sie dabei chronologisch. Die 1000 Meter vom Boden bis zur Spitze der „Dawn Wall“ bestehen aus 32 sogenannten „Pitches“, also kleineren Etappen bzw. Abschnitten, die jeweils circa 45 Meter voneinander entfernt sind. Wie sich die beiden Kletterer von Abschnitt zu Abschnitt kämpfen, sich nur mit ihrer Muskelkraft an kleinen Vorsprüngen festhalten oder enge Felsspalten zu erreichen versuchen, ist spektakulär und fesselnd. Auch, weil Caldwell und Jorgeson ohne Hilfsmittel die rutschige Oberfläche bewältigen und sich bereits beim 15. Abschnitt (dem schwersten, für den Jorgeson allein sieben Tage benötigt) in einer gewaltigen Höhe von 500 Metern befinden.

Mortimer und Lowell sind immer nah dran am Geschehen. Sie selbst mussten sich vom Gipfel der „Dawn Wall“ abseilen, um mit der Kamera möglichst dicht an die Freeclimber heranzukommen. Doch die Anstrengungen haben sich gelohnt: Die Filmemacher fangen packende, hochemotionale Bilder ein, die das Auf und Ab des Wahnsinnsprojekts verdeutlichen. Etwa wenn Jorgeson an Pitch 15 beinahe aufgibt oder die Kamera seine von den messerscharfen Felskanten zerschnittenen Finger und die von Blasen übersäten Füße in Großaufnahme einfängt. Doch „Durch die Wand“ bietet ebenso Bildmaterial zum Träumen und Schwelgen. Imposant sind die Aufnahmen der mächtigen, schroffen Gebirgslandschaften des Nationalparks, die gerade auf der großen Leinwand eine beachtliche Wirkung entfalten.

Zeit zum Durchatmen und Verschnaufpausen vom Nervenkitzel gewährt „Durch die Wand“ dem Zuschauer zwischendurch mittels Interviews und privaten Videoaufnahmen. Sie zeichnen den Weg der Climber bis zu ihrem Jahrhundert-Aufstieg nach. Die Super-8-Archivbilder zeigen Caldwell unter anderem bei ersten Kletter-Wettbewerben in den 90er-Jahren oder bei der Reise nach Kirgistan, die mit der tragischen Entführung endete.

Björn Schneider