Five Fingers for Marseilles

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Ein Blick auf das gegenwärtige Südafrika durch das Prisma eines Western, das ist Michael Matthews „Five Fingers for Marseilles“, der Mythen und Klischees des uramerikanischen Genres auf originelle Weise nach Afrika verlegt. In einem abgelegenen Landstrich muss sich die Bevölkerung gegen Banditen und Korruption zur Wehr setzen, die sich auch in Zeiten nach der Apartheid kaum verändert hat.

Webseite: www.dropoutcinema.org

Südafrika 2017
Regie: Michael Matthews
Buch: Sean Drummond
Darsteller: Vuyo Dabula, Hamilton Dhlamini, Zethu Dlomo, Kenneth Nkosi, Mduduzi Mabaso, Aubrey Poolo, Lizwi Vilakazi, Warren Masemola, Dean Fourie
Länge: 120 Minuten
Verleih: Drop-Out Cinema
Kinostart: 27. Juni 2019

FILMKRITIK:

Marseille heißt ein kleines Nest, irgendwo im ländlichen Südafrika, ein abgelegener Ort, der von seinen Gründern in Erinnerung an ihre europäische Heimat getauft wurde. Durch den Bau der Eisenbahn wurde dieser und andere Orte gegründet, erbaut von der einheimischen schwarzen Bevölkerung, die oberhalb von Marseille in baufälligen Hütten lebt. Die Zeit ist Anfang der 90er Jahre, die Apartheid steht kurz vor dem Ende, doch das Wissen die fünf Jungs noch nicht, die zusammen die Bande Five Fingers formen: Tau, Zulu, Unathi, Bongani und Luyanda, dazu das Mädchen Lerato.
 
Viel ausrichten können sie gegen die Unterdrückung durch die weißen Herrscher nicht, doch ihre Wut kennt kaum Grenzen. Als eines Tages zwei Polizisten im Dorf auftauchen eskaliert die Situation. Tau tötet die Ordnungshüter und flieht. 20 Jahre später kehrt er in seine Heimat zurück, inzwischen ein Berufskrimineller, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Und auch seine ehemaligen Freunde haben sich verändert: Vor allem Bongani, der inzwischen - im Post-Apartheid Südafrika - Bürgermeister geworden ist, sich dafür aber mit den kriminellen Elementen der Gegend arrangiert hat.
 
Das ist vor allem eine sinistre Gestalt namens Sepoko, die immer wieder wie ein Racheengel auftaucht und Tribut fordert. Gegenwehr hat sie kaum zu erwarten, denn die vorwiegend schwarze Bevölkerung ist nun zwar offiziell frei und unabhängig, doch in Wahrheit hat sich an den Machtstrukturen nur wenig getan.
 
Im Südosten Südafrikas wurde „Five Fingers for Marseilles“ gedreht, in einer Landschaft, die Witteberg heißt und schon im Namen ihr europäische Herkunft verrät. Optisch wirkt sie wie ein Pendant zu klassisch amerikanischen Landschaften, insofern liegt es erst recht nah, hier einen Neo-Western anzusiedeln, der typische Western Motive nimmt und sie mit Geschichte und Gegenwart Südafrika in Bezug setzt. So wie im amerikanischen Westen war es auch in Südafrika die Eisenbahn, die fremde Menschen in die Region brachte und die wirtschaftliche Ausbeutung ermöglichte, die besonders in Südafrika nicht den Einheimischen zu Gute kam.
 
Wie Michael Matthews in seinem Debütfilm zeigt, für den er zusammen mit Sean Drummond auch das Drehbuch schrieb, hat sich an diesen Strukturen auch Jahre nach Ende der Apartheid wenig geändert, nur die Ausbeuter haben sich geändert. Doch „Five Fingers for Marseilles“ ist kein explizit politischer oder gesellschaftskritischer Film. Weder die Apartheid noch ein genaues Jahr werden erwähnt, stattdessen die mythologischen Momente der Geschichte betont. Besonders der Antagonist Sepoko wirkt so überlebensgroß und unwirklich, dass „Five Fingers for Marseilles“ weniger realistisch, als surreal wirkt. Man könnte die Geschichte also einfach als amüsantes Spiel mit Genre-Motiven genießen, sich an den atemberaubenden Aufnahmen der südafrikanischen Landschaft berauschen oder den in ihrer Heimat sehr bekannten Darsteller erfreuen. Doch unter der glatten Oberfläche eines Genrefilms erzählt Matthews ganz unterschwellig, vor allem nie didaktisch, von den Strukturen des modernen Südafrikas. Vor allem auch von den Schwierigkeiten, eine Form der Unterdrückung abzustreifen, ohne einer anderen zum Opfer zu fallen. Die Apartheid ist hier zwar vorbei, doch nun herrscht der Kapitalismus über die Menschen.
 
Michael Meyns