Gestorben wird morgen

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Die pure Lust am Altwerden: Um diesen Satz könnte man den Titel der durchweg lebensbejahenden, charmanten Doku „Gestorben wird morgen“ erweitern. Denn der Film handelt von Menschen, die sich trotz ihrer Krankheiten, Verluste und ihres hohen Alters mit Elan und Freude ins Leben stürzen. Sie wohnen in einer für Rentner gegründeten und am Reißbrett entworfenen Stadt im US-Bundesstaat Arizona. Für uns Europäer eine utopische Vision, in den USA Realität. „Gestorben wird morgen“ erzählt ungewöhnliche Alltagsgeschichten und bietet spannende Einblicke in eine fremde Welt, ohne jedoch die Ernsthaftigkeit der Thematik zu verschweigen.

Webseite: gestorben-wird-morgen.de

Deutschland 2018
Regie & Drehbuch: Susan Gluth
Länge: 74 Minuten
Kinostart: 28.03.2019
Verleih: gluth film

FILMKRITIK:

Es ist die Rentnerstadt der USA, in der die Bewohner inmitten von Palmen und Bungalows ihren Lebensabend verbringen: Sun City in Arizona. Rund 40 000 Menschen leben hier, das Durchschnittsalter liegt bei 72 Jahren. Der Gründer von Sun City, Del Webb, wollte einen Ort schaffen an dem Rentner mehr erwartet als Pflegeheime oder ein seniorengerechtes Haus mit einem Schaukelstuhl davor. Und so ist Sun City eine Anlage, errichtet in den 60er-Jahren, die ideale Bedingungen für ein Leben im hohen Alter bietet: Die Stadt ist barrierefrei, die Straßen sind extra breit, es gibt Ärzte sowie Apotheken und die Sonne scheint an 300 Tagen im Jahr. Regisseurin Susan Gluth porträtiert in „Gestorben wird morgen“ die Einwohner von Sun City, die der Ansicht sind, dass der finale Lebensabschnitt keineswegs ein ernster und trauriger sein muss.

Die Hamburgerin Susan Gluth ist bekannt dafür, sich mit ihren Stoffen ausgiebig und intensiv zu befassen. Immer wieder begleitet sie in ihren Langzeitprojekten Menschen über viele Jahre, verfolgt Entwicklungen und greift Stoffe wieder auf. So beendete sie etwa ihre Doku „Urmila“ (2016) über eine nepalesische Menschenrechtsaktivistin nach fünfjähriger Drehzeit in Nepal. Und auch viele Bewohner von Sun City kennt Gluth schon lange, da sie bereits in den Jahren zuvor mehrfach nach Arizona gereist war und die Senioren in ihrem Alltag beobachtete. „Gestorben wird morgen“ feierte 2018 auf der DOC in New York Premiere.

„Gestorben wird morgen“ zeigt Menschen, die teils schon seit Jahrzehnten in Sun City leben. Rund 100 Bewohner haben das 100. Lebensjahr bereits erreicht oder überschritten. Dass zu so einem langen Leben freilich auch Schmerz und Tod (über 20 Prozent der Einwohner sind verwitwet) gehören, verschweigen die sich vor Gluths Kamera freimütig äußernden Senioren zu keiner Zeit. Im Gegenteil: Sie wissen, dass sie zum Sterben ins „Rentnerparadies“ gekommen sind. Altern bedeute, Freunde und geliebte Menschen zu verlieren, sagt eine der Bewohnerinnen. „Aber Altern bedeutet auch, Spaß beim Sterben zu haben“, bringt ein anderer Interviewter die Einstellung der Menschen vor Ort auf den Punkt. Überhaupt beweisen die Senioren in den Gesprächen viel Sarkasmus und Selbstironie. Sie können über sich und ihre angeschlagenen Knochen lachen.

Spaß haben sie auch bei all den vielfältigen Aktivitäten, die ihnen Sun City bietet und in die Gluth einen umfangeichen Einblick gewährt, da sie mit ihrer Kamera stets dicht an den Porträtierten dran ist: auf der Harley-Davidson, bei einem Auftritt der örtlichen (Rock-) Kapelle „One foot in the grave“, beim Tanzen und Steppen, Golfen, Baseball oder bei den Menschen zu Hause. Etwa beim 101-jährigen Abraham, der sich den neuen Medien und der Digitalisierung nicht verschließt und viel Zeit vor seinem Laptop verbringt – wenn er nicht gerade im Fitnessstudio trainiert. Oder bei einer fast 90-jährigen Frau, die liebenswürdige Dee, die noch immer viel Wert auf sich und ihr Äußeres legt. Die wöchentlichen Maniküre-Termine sind Pflicht. Und das, obwohl sie fast blind ist und nur sehr schlecht hört.

Gut und wichtig ist, dass der Film diese, mit dem Alter einhergehenden gesundheitlichen Einschränkungen nicht verschweigt und das Altern nicht verklärt. Der Verlust der Eigenständig- und Selbstständigkeit kommt für viele irgendwann. „Altwerden ist nichts für Feiglinge“, hat schon der Moderator Joachim Fuchsberger einst gesagt. Das wissen freilich auch die Einwohner von Sun City, aber dennoch haben sie sich ihren Mut, ihre positive Grundeinstellung und Lebensfreude bewahrt. Ein für uns alle positives Beispiel.

Björn Schneider