Have A Nice Day

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Der chinesische Künstler und Animator Liu Jan schickt im pechschwarzen, abgründigen Animationsfilm „Have a nice day“ seine gewissenlosen Charaktere auf eine regelrechte Treibjagd nach einer Tasche mit wertvollen Inhalt. Es sind gierige, egoistische Menschen, die von tiefen Sehnsüchten und bitteren Abgründen angetrieben werden - und in einer verunsicherten, finsteren Welt leben. „Have a nice day“ scheut sich nicht, ganz tief in die geschundene Seele eines angeschlagenen Riesenreichs zu blicken und der chinesischen Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten.

Webseite: www.haveaniceday-film.de

China 2017
Regie & Drehbuch: Liu Jian
Länge: 77 Minuten
Kinostart: 07. Februar 2019
Verleih: Grandfilm

FILMKRITIK:

In einer südchinesischen Industriestadt setzt der Baustellenfahrer Xiao Zhang eine wilde Verfolgungsjagd in Gang, als er eine geheimnisvolle Tasche klaut. Darin: eine Million Yuan, die dem Mafiaboss Onkel Liu gehören. Als dieser vom Diebstahl des Geldes hört, setzt er sogleich einen seiner fähigsten Berufskiller auf Zhang an. Der Dieb unterdessen ist gewillt, seine Beute zu verteidigen, benötigt er das Geld doch für eine Schönheits-OP seiner Freundin. Im Laufe der Zeit werden es mehr und mehr gierige Hände, die dem wertvollen Tascheninhalt hinterherjagen. Am Ende steht eine lange Spur von Toten und Verletzten.

Über drei Jahre lang arbeitete Liu Jian an seinem ersten Film seit „Piercing I“ (2010). Dabei fertigte er alle Zeichnungen selbst an. Seine internationale Premiere feierte die zynische Animationskomödie bei der Berlinale 2017 im Wettbewerb um den Goldenen Bären. Zwar konnte der Film in Berlin den Hauptpreis nicht gewinnen, wurde dafür aber bei einigen anderen Filmfesten als bester Animationsfilm gekürt, unter anderem beim Filmfestival Philadelphia 2017.

Es ist wahrlich kein allzu positives Bild, das Jian vom Leben in der tristen, grauen Betonwüste (die Stadt bleibt während des ganzen Films namenlos) zeichnet, in der die Handlung angesiedelt ist. Heruntergekommene Häuser, verwahrloste Typen, Kriminalität an allen Ecken sowie eine von Smog und den Abgasen der Autos verpestete Luft. Das ist die fatalistische Welt von „Have a nice day“,  mit der Jian ganz unverblümt auf den – in seinen Augen – katastrophalen Zustand seiner chinesischen Heimat anspielt.

Die düstere Weltuntergangsstimmung, die in der kleinen Provinzstadt herrscht, überträgt der Filmemacher auf das reale Lebensgefühl vieler Chinesen. Sie leben in einem Land, das unter einem restriktiven, von diktatorischen Elementen durchzogenen politischen System, der Umweltverschmutzung und einer dramatischen Überbevölkerung leidet. Dass das international bedeutendste Animationsfilmfestival in Annecy „Have a nice day“ auf Verlangen der Regierung Chinas nicht mit ins Programm aufnahm, zeigt, wie heikel und sensible die angesprochenen Themen des Films sind.

Doch „Have a nice day“ lässt sich ebenso als Generalabrechnung mit dem Internet als wichtigstem Kommunikations- und Informationsmedium sowie (westlichen) Statussymbolen wie einer teuren Ausbildung und einem tadellosen Äußeren lesen. Immerhin ist eine zu finanzierende Schönheitsoperation der Auslöser der ganzen Misere. Und wenn sich die Figuren immer wieder in flüchtigen, unpersönlichen Chats austauschen oder gemeinhin als Koryphäen verehrte „digitale Vordenker“ wie Steve Jobs, Marc Zuckerberg oder Bill Gates zitieren, ist klar, dass Jian auf diese Weise Kritik an unserem hoch technisierten, online-basierten Zeitalter übt.

Formal, visuell und inhaltlich geht er minimalistisch und schlicht vor. Die Tricktechnik ist simpel gehalten und einige (Fort-)Bewegungen (gerade die von Autos und Motorrädern)  wirken in ihrer Langsamkeit und holprigen Art fast wie Flash-Animationen. Hinzu kommt eine überschaubare Story, in der es – auch wenn die Anzahl der handelnden Personen hoch ist – im Kern ausschließlich um die Jagd nach der Tasche geht. Alles andere als zurück hält sich der Film jedoch beim Humor. Der ist derb und durchweg radikal. Außerdem stattet Jian seine Charaktere, darunter einen abgehalfterten Alt-Mafiosi und einen ungepflegten Möchtegern-Unternehmer, mit einer gehörigen Portion Sarkasmus und Galgenhumor aus. Die einzige Möglichkeit, so scheint es, um das Elend des eigenen Daseins und die Verrohung der Gesellschaft zu ertragen.

Björn Schneider