Menashe

Zum Vergrößern klicken

Ein alleinerziehender Vater, der zu den jüdischen Haredim in New York gehört, versucht, seine Vorstellungen von einem selbstbestimmten Leben gegen die Traditionalisten durchzusetzen – möglichst, ohne anzuecken. Die leise, warmherzige Komödie mit extrem dokumentarischem Charakter erzählt authentisch von einer in sich geschlossenen Gemeinschaft: eine kleine, abgeschottete Welt für sich in der tobenden, lauten Metropole New York. Dies und eine anrührende, tragikomische Geschichte machen den komplett auf Jiddisch gedrehten Film spannend und sehenswert.

Webseite: www.menashe.de

USA 2017
Regie/Drehbuch: Joshua Z. Weinstein
Darsteller: Menashe Lustig, Yoel Weisshaus, Meyer Schwartz, Ruben Niborski, Yoel Falkowitz, Ariel Vaysman
Länge: 83 Minuten
OmU (Jiddisch mit deutschen Untertiteln)
Verleih: Mindjazz Pictures
Kinostart: 6. September 2018

FESTIVALS/PREISE:

International Film Festival Deauvielle 2017: Jury Prize

Nashville Film Festival 2017: Lipscomb Ecumenical Prize

National Board of Review, USA 2017: Winner Top Ten Indipendent Films

FILMKRITIK:

Was für ein Shlimazel (Pechvogel)! Zuerst verliert Menashe seine Frau, und jetzt will ihm auch noch sein hochnäsiger Schwager diktieren, ob und wann er seinen Sohn Rieven sehen darf. Dabei ist Menashe doch mehr als bemüht, es allen recht zu machen: seinem Chef im koscheren Supermarkt, dem Ruv (Rabbiner) und natürlich der Mischpoke (Familie). Leider bringt Menashe – freundlich gesagt – nicht die besten Voraussetzungen mit: Er ist ziemlich tollpatschig, ein Chaot, wie er im Buche steht, und er tritt gern mal in alle zur Verfügung stehenden Fettnäpfchen. Auch als Vater macht er nicht immer eine gute Figur. Dabei möchte Menashe eigentlich nur eines: in Ruhe und Frieden allein mit seinem Sohn Rieven leben. Doch das geht nicht, sagt der Rabbi, weil die Thora das anders vorschreibt. Ein Vater soll nicht allein mit seinem Sohn leben. Menashe muss wieder heiraten, erst dann darf er seinen Sohn wieder zu sich holen. Verschiedene Frauen stehen zur Wahl, aber Menashe kann und will sich nicht festlegen und schickt sie alle weg. Irgendwann muss sich der gutmütige Menashe entscheiden, welchen Weg er gehen will: für oder gegen die Tradition.
 
Joshua Z. Weinsteins legt hier nach mehreren Dokumentationen seinen ersten Spielfilm vor. Sein Kinodebüt ist dabei sehr dicht am Dokumentarspielfilm, denn der sympathische, voluminöse Hauptdarsteller Menashe Lustig hat viel mit seiner Rolle gemeinsam. Auch er ist Witwer, Vater und Supermarktverkäufer, hat allerdings auch eine Karriere als Comedian gemacht und wurde bekannt als erster Chasside auf YouTube. Er spielt den Menashe als klassischen Helden wider Willen – seine Absichten könnten gar nicht besser sein, aber es mangelt an der Durchführung und vor allem am Selbstbewusstsein. Dieser freundliche, stämmige Mann mittleren Alters scheint so gar nicht zum Rebellen geboren, aber für seinen Sohn ist Menashe bereit, über seinen Schatten zu springen. So behauptet er sich gegen seinen Schwager, als es um die Ausrichtung der traditionellen Feier zum Todestag seiner verstorbenen Frau geht. Er will sogar selbst kochen und besorgt sich ein Rezept für Kugl (Auflauf). Menashe will allen zeigen, dass er in der Lage ist, allein für seinen Sohn zu sorgen. Doch ob ihm das gelingt?
 
Wie Menashe sich subtil gegen die Traditionalisten zur Wehr setzt, ist allein schon interessant: Er trägt keinen hohen schwarzen Hut, und er rollt seine Schläfenlocken so eng zusammen, dass sie beinahe unsichtbar sind. Er hat ein altes Handy, aber offiziell gibt es hier weder Mobiltelefone noch Internet, weder Fernsehen noch Kino.
 
Joshua Z. Weinstein ist es mit viel Geduld gelungen, mitten in der chassidischen Gemeinde zu drehen und alle Rollen mit Haredim zu besetzen. Die Dreharbeiten dauerten annähernd zwei Jahre. Mit dokumentarischer Präzision hält Joshua Z. Weinstein das Leben in der Enklave fest. Die Kamera kriecht förmlich in die Gesichter, ebenso wie in die Wohnungen. Sie erforscht die Menschen und ihr Leben. Rituale und Feiern sind ebenso präsent wie die Gewohnheiten und Lebensumstände der Haredim, von denen heute noch etwa 200.000 in Brooklyn/New York leben, als größte chassidische Gemeinschaft außerhalb Israels. Der Film wurde komplett in jiddischer Sprache gedreht – und für deutsche Ohren ist die Sprache tatsächlich ziemlich gut zu verstehen, obwohl die jiddisch-jüdische Kultur in Deutschland mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust kaum mehr präsent ist. Es ist ein merkwürdiges Gefühl zu wissen, dass diese Sprache einmal Teil der deutschen und europäischen Kultur war.
 
MENASHE ist bei allem Willen zur höchstmöglichen Authentizität nicht nur ein interessantes Zeitdokument, sondern vor allem eines: eine sehr warmherzige, tragikomische Geschichte.
 
Gaby Sikorski