Noma

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René Redzepi heißt der Mann, der die skandinavische Küche neu erfunden hat, und das Noma ist seine Schöpfung – eines der anerkannt besten Restaurants der Welt. Pierre Deschamps erzählt mit sehr viel Respekt die Geschichte des Mannes und seines Berufes, der für ihn Berufung ist. Für Feinschmecker ist die Dokumentation eine interessante Ergänzung des cineastischen Speiseplans. Allerdings ist zu vermuten, dass der philosophisch angehauchte Protagonist und seine Schöpfungen, von fermentierten Stachelbeeren über glasierten Zanderkopf bis zum Dip mit lebendigen Ameisen, hierzulande vor allem ein ausgewähltes Publikum wirklich ansprechen wird.

Webseite: www.noma-derfilm.de

Dokumentarfilm
Großbritannien 2015
Regie, Buch, Kamera: Pierre Deschamps
99 Minuten
Verleih: NFP Marketing & Distribution
Kinostart: 9. Februar 2017

FILMKRITIK:

Haute cuisine lässt sich ganz gut mit „gehobene Küche“ übersetzen. Je weiter oben, desto exquisiter sind die Zutaten, die zu Kompositionen mit durchgeknallten Bezeichnungen verarbeitet werden, und desto teurer wird demzufolge das Essen, das auf herrlich dekorierten Tellern angerichtet wird. In diesem Reich der Spitzengastronomie ist René Redzepi der König, das wird sehr schnell klar. Manche nennen ihn den Mozart der skandinavischen Küche, und zwar aus zwei Gründen: Er ist jung, also eine Art Wunderkind, und er gilt als Genie, denn er hat die skandinavische Küche erfunden.
 
Pierre Deschamps begleitet den ehrgeizigen Küchenchef privat und beruflich, er lässt seine Familie und Kollegen zu Wort kommen, aber auch Partner, die für ihn Fische fangen, Pilze oder Flechten sammeln und Kräuter finden oder anbauen. Denn René Redzepi, der mazedonische Wurzeln hat, besinnt sich in seinen kulinarischen Kreationen auf den Ursprung des Essens: Seine Speisen sind nicht nur regional und saisonal – damit allein könnte kein Küchenchef dieser Erde einen toten Hering vom Teller ziehen, geschweige denn Sterne erwirtschaften – sondern sie verbinden die Schönheit der Natur mit dem Vergnügen, das der Mensch von Anbeginn an beim Essen empfindet. Optik, Geruch und Geschmack bilden eine Einheit. Geruch und Geschmack lassen sich im Film nur erahnen, aber die Gerichte, die im Noma auf den Tisch kommen, sind zumindest ein visuelles Vergnügen.
 
Gut, das sollte in der Sterneküche selbstverständlich sein. Aber hier geht es um mehr als ums Tellerbemalen, denn René Redzepi macht aus jeder Kreation ein Naturschauspiel. Manche Speisen sehen aus, als seien sie im Ostsee-Eis eingefroren, zarte Blüten tanzen auf frischem Laub über Soßen und Sößchen, frische, bunte Wiesenkräuter bringen den kurzen Sommer Skandinaviens direkt auf den Tisch. Das sieht alles richtig toll aus, sogar die lebenden Ameisen, die den Dip dekorieren, passen dazu. Sie erinnern an die Kindheit, an das Picknick auf der Wiese …
 
Und dazu erzählt René Redzepi davon, wie er wurde, was er ist, und dass er anfangs ausgelacht und ausgegrenzt wurde: als Kind, weil er aus Mazedonien kam, und als junger Koch, weil er eine nordische Küche kreieren wollte. Wie er das dennoch gegen alle Widerstände geschafft hat, wie er das Noma mehrere Jahre hintereinander zum besten Restaurant der Welt machen konnte und wie er einen großen Rückschlag verkraften musste, als der Norovirus seine Gäste erwischte, das alles thematisiert Deschamps in seinem Film.  Dabei erschafft Pierre Deschamps aus einem perfektionistischen, von seiner Arbeit besessenen Küchenchef, von denen es viele gibt, eine komplexe Persönlichkeit, die im Verlauf der Handlung immer mehr an Substanz gewinnt. Zu Beginn wirkt Redzepi dabei deutlich sympathischer als am Ende.
 
Trotz seiner Verbeugung vor dem Künstler Redzepi, trotz aller Demut vor seinen Kreationen und vor seiner persönlichen Leistung wird der Küchenchef bei Deschamps zu einem beinahe geschwätzigen Küchenphilosophen, der viel redet, und zwar vor allem über sich selbst, seine Ansichten, seine Fähigkeit zu reflektieren und alles in Zusammenhängen zu betrachten. Die Person René Redzepi rückt auf eine ebenfalls mozarthaft überschwängliche und beinahe anmaßende Art immer mehr in den Vordergrund. Sicherlich ist das Absicht, und vermutlich hilft es in dem Job, wenn man ein rücksichtsloser Egomane ist, aber es tut weh zu sehen, wie Redzepi seine Belegschaft vor der Kamera beschimpft. Und es macht ihn nicht sympathischer.
 
Kenner wissen natürlich, dass solche Umgangsformen in der Küche durchaus üblich sind, aber irgendwie klaffen Anspruch und Wirklichkeit hier auseinander. Vor allem aber leidet die Glaubwürdigkeit des Films, und das ist sehr schade. Hier liegt auch mit ein Grund, warum der Film im Kino eine eher begrenzte Zielgruppe ansprechen wird. Dagegen sind die Bilder aus der Natur des hohen Nordens und von den Menschen, mit denen René Redzepi zusammenarbeitet, die reine Erholung. Hier kommen ebenfalls Besessene zu Wort: Kräuterpflücker, Moos- und Pilzsammler, Fischer – all diese sympathischen Wahnsinnigen liefern die ausgewählten Zutaten zu Redzepis Kreationen. Wenn man ihre Arbeit sieht und die aufwändige Verarbeitung zur servierfertigen Speise in der unglaublich tollen Küche des Noma, wenn man die Begeisterung sieht, mit der die Köche zu Werke gehen, dann ist dieser Film bei dem angekommen, was er sein möchte: ein Spektakel für alle Sinne, das Appetit macht. Es müssen ja nicht unbedingt Ameisen auf dem Teller herumkrabbeln.
 
Gaby Sikorski