Regression

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Auf den ersten Blick wirkt Alejandro Amenabars "Regression" wie ein weiterer Horrorthriller, der mit der Möglichkeit des Übernatürlichen spielt. Doch nach und nach entpuppt sich die Geschichte um ein junges Mädchen, das behauptet, sexuell missbraucht worden zu sein, als ebenso spannende wie intelligente Entlarvung von falschem Glauben und suggestiven Gedankengängen.

Webseite: www.regression-derfilm.de

USA 2015
Regie, Buch: Alejandro Amenabar
Darsteller: Ethan Hawke, Emma Watson, Dvid Thewlis, David Dencik, Dale Dickey, Devon Bostick
Länge: 106 Minuten
Verleih: Tobis
Kinostart: 1. Oktober 2015
 

FILMKRITIK:

"Seit den frühen 80er Jahren gibt es Anzeichen satanischer Kulte in Amerika" informiert eine Schrifteinblendung gleich zu Beginn von "Regression", gefolgt vom selbst beim übernatürlichen Horrorthriller inzwischen kaum vermeidbaren "Dieser Film basiert auf einer wahren Geschichte." Und was dann folgt wirkt lange auch wie ein zwar überdurchschnittlich gut gefilmter, aber doch konventioneller und vorhersehbarer Thriller, wie man sie in den letzten Jahren häufig gesehen hat: In einer Kleinstadt in Minnesota gerät der streng gläubige Automechaniker John (David Dencik) in Verdacht, seine Tochter Angela (Emma Watson) sexuell missbraucht zu haben. Doch es kommt noch schlimmer: Wie Detective Bruce Kenner (Ethan Hawke) herausfindet, scheint Angela Opfer eines religiösen Kults geworden zu sein, der satanishe Messen abhält und sogar vor der rituellen Opferung von Babys nicht zurückschreckt.

Nur eins ist seltsam: John ist zwar überzeugt von den Anschuldigungen seiner Tochter, denn diese würde als gläubige Christin nie Lügen, erinnern kann er sich an seine vermeintlich begangenen Taten jedoch nicht. Hier kommt der Psychologe Kenneth Raines (David Thewlis) ins Spiel, der sich auf eine neue therapeutische Methode versteht: Der Regressionstherapie. Bei dieser Methode werden Patienten unter Hypnose Erinnerungen entlockt, die tief im Unterbewustsein verhaftet sind. Bald offenbart John erschreckendes, scheinen die Ausmaße des satanischen Kults weit über das Vorstellbare hinauszugehen. Das kleine Städchen wird von zunehmender Hysterie erfasst, der sich auch der an sich rational denkende, dezidiert agnostische Detective Kenner nicht entziehen kann. Immer besessener ist er von der Suche nach dem Täter, doch handfeste Spuren oder echte Beweise findet er nicht. So stellt er sich schließlich die konsequente Frage, ob diese Spuren denn jemals existiert haben.

Dass der spanische Regisseur Alejandro Amenabar seinen größten Erfolg mit dem übernatürlichen Thriller "The Others" hatte und seine ersten Filme "Tesis" und "Öffne deine Augen" ebenfalls den Bereich des Realen, Handfesten verließen, lässt bei seinem neuen Film "Regression" lange alle Möglichkeiten offen. Geschickt hält er die Geschichte im ungefähren, streut Hinweise ein, die eine rationale wie eine übernatürliche Lesart denkbar erscheinen lassen. Doch bald beginnt man sich zu fragen, warum ein vorgeblicher Horror-Thriller so wenig Schockierendes zeigt. Sämtliche Verbrechen werden konsequent nur beschrieben, mit den Worten Angelas und anderer Figuren, doch Bilder gibt es nicht zu sehen. Spätestens wenn dann von einem aufsehnerregenden Bestseller über satanische Kulte die Rede ist, beginnt man zu ahnen, dass es hier nicht um einen klasssichen Thriller geht, sondern um die Entlarvung problematischer Formen psychologischer Arbeit.

Das Bemerkenswerte ist nun, dass "Regression" dennoch so dicht inszeniert ist, dass man ihn bis zum Ende als reinen Spannungsfilm genießen kann, der Hauptdarsteller Ethan Hawke bei der Polizeiarbeit beobachtet, ihn bald an seinem Verstand zweifeln, bald von fiebrigen Visionen heimsuchen lässt. Unter dieser glatten, stilistisch hervorragenden Genreoberfläche stellt Amenabar jedoch Fragen nach den Folgen bestimmter psychoanalytischer Formen. Gerade in einem Land wie Amerika, dass mehr noch als andere westliche Kulturen oft von fanatischen, selbsternannten Heilsbringern bevölkert wird, die versprechen, die Wahrheit zu kennen, den rechten Weg des Glaubens weisen zu können, ein besonders aktuelles Thema, das in "Regression" unter der Fassade eines spannenden Genrefilms verhandelt wird.
 
Michael Meyns