Selma

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Das überaus dichte und stimmungsvolle Bürgerrechtsdrama „Selma“ zeichnet ein klug komponiertes Porträt von Martin Luther King Jr. während seines historischen Kampfes um das Wahlrecht für Afroamerikaner. Vielschichtig, ohne Verklärung, verkörpert dabei Hauptdarsteller David Oyelowo die Ikone der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Regisseurin Ava DuVernay gelingt mit ihrem Epos über den Freiheitsmarsch von Selma nach Montgomery,  diesem entscheidenden Ereignis für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, gleichzeitig ein ungemein bewegendes, leidenschaftliches Statement für Zivilen Ungehorsam und Menschlichkeit. Die Energie ihrer geradlinigen Inszenierung schlägt den Zuschauer bis zum Schluss in seinen Bann.

Webseite: www.selma.studiocanal.de

Großbritannien/ USA 2014
Regie: Ava DuVernay
Darsteller: David Oyelowo, Carmen Ejogo, Giovanni Ribisi, Tim Roth, Tom Wilkinson, Dylan Baker, Cuba Gooding Jr., Oprah Winfrey, Lorraine Toussaint, Common.
Drehbuch: Paul Webb
Länge: 125 Minuten
Verleih: Studiocanal
Kinostart: 19. Februar 2015
 

Pressestimmen:

"Eine brillante Studie über Politik... ein ebenso ergreifender wie kluger Film..."
Der Spiegel

FILMKRITIK:

Amerika 1965. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gärt es. Mit Mord, Brandstiftung und Bomben wehren sich weiße Rassenfanatiker in den Südstaaten gegen die Gleichberechtigung der Afroamerikaner. Auch das formal bestehende Wahlrecht gilt in der Realität des rassistischen Südens nichts. Schwarze sind Bürger zweiter Klasse und täglich Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Zehn Dynamitstäbe, von weißen Terroristen in die Baptistenkirche der 16. Straße von Birmingham in Alabama geschmuggelt detonieren ein halbes Jahr zuvor während der Sonntagsschule. Vier schwarze Mädchen zwischen elf und 14 Jahren werden dabei umgebracht.
 
Trotzdem formiert sich in der Kleinstadt Selma der gewaltlose Widerstand. „Wenn Sie glauben, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dann schließen sie sich unseren Marsch gegen Ungerechtigkeit an“, appelliert Martin Luther King (David Oyelowo) entschlossen und mutig. Der frischgebackene Friedensnobelpreisträger hofft auf eine Wende. Zusammen mit seinem Team und den lokalen Aktivisten mobilisiert der charismatische Prediger mit der weichen Baritonstimme immer mehr Menschen, die um ihr Wahlrecht kämpfen. Auch die ehemalige Krankenschwester Annie Lou Cooper (Oprah Winfrey) gibt nicht auf. Traktiert von Sheriff Jim Stuart versucht sich die 54jährige immer wieder ins Wahlregister eintragen zu lassen.
 
„Wir werden auf gar keinen Fall dulden, dass Unruhestifter Aufstände in diesem Staat anzetteln“, wettert Governeur George Wallace (Tim Roth). Der Hardliner und eiserne Verfechter der Rassentrennung mit dem Slogan „Segregation forever“ will den Freiheitsmarsch von Selma nach Montgomery um jeden Preis verhindern. Kaum haben die friedvollen Aktivisten die Stadtgrenze von Selma erreicht, lässt er sie an der Edmund Pettus Brücke durch seine Polizei brutal niederprügeln. Der Tag ging als „Bloody Sunday“ in die US-amerikanische Geschichte ein.
 
Vergebens sucht Martin Luther King im Weißen Haus die Unterstützung von Präsident Lyndon B. Johnson (Tom Wilkinson). Erst nach den schockierenden Bildern im Fernsehen ist der Texaner zum Eingreifen bereit. Unter dem Schutzgeleit von Armee und Nationalgarde gelingt das Vorhaben endlich. Fünf Tage brauchen die Demonstranten für ihren Marsch in die rund 90 Kilometer entfernte Staathauptstadt Montgomery. Die Aktion zeigte Wirkung: Noch im Sommer desselben Jahres wird der Voting Rights Act verabschiedet.
 
Jenseits von Heldenposen liefert vor allem David Oyelowo eine Oscar-reife schauspielerische Glanzleistung. Der britische Schauspieler mit nigerianischen Wurzeln, der sich seine Sporen bei der Royal Shakespeare Company verdiente, verkörpert die charismatische Bürgerrechtsikone mit absoluter Hingabe. Dabei scheut sich der 38jährige nicht die Risse im Mythos zu zeigen. Dass Martin Luther King Affären hatte, war innerhalb der Bürgerrechtsbewegung freilich ein offenes Geheimnis. Das FBI unter Edgar Hoover versuchte ihn damit unter Druck zu setzen und mit einem anonymen Brief in den Selbstmord zu treiben.
 
Ava DuVernay mutiges Leinwanddrama über diese entscheidenden Monate des legendären Freiheitskampfes der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in Selma präsentiert sich als aufregendes Epos, das den Zeitgeist lebhaft spiegelt. Stilistisch knüpft die afroamerikanische Regisseurin damit an das amerikanische New Black Cinema der 90er Jahre, etwa Spike Lees Biopic Malcolm X, an. Obgleich sie mit ihrer Hommage auch unbekannteren Mitstreitern der Bürgerrechtsbewegung Tribut zollt und ihre Verdienste in berührender Weise dem Vergessen entreißt und in den Blickpunkt einer Weltöffentlichkeit rückt.
 
Ihr period piece über die blutigen Märsche von Selma, einem kleinen Städtchen in Alabama, das 1965 in die Annalen der Civil-Rights-Bewegung einging, könnte freilich gleichzeitig kaum aktueller sein. Nach den Toten von Ferguson, Cleveland und Brooklyn ist das Leinwanddrama über den Bürgerrechtler Martin Luther King nicht nur ein heisser Oscar-Anwärter, sondern auch ein aufrüttelnder Spiegel der gegenwärtigen Lage. Fünfzig Jahre nach der Inkraftsetzung der Voting Right Act durch Lyndon B. Johnson stehen zudem die seinerzeit eingeführten Rechte wieder zur Disposition: Im vergangenen Jahr wurde ein entscheidender Paragraf im Wahlgesetz durch den Supreme Court für nichtig erklärt.
 
Luitgard Koch
 
 
P.S.: Es gibt eine Diskussion, inwieweit der Film die historischen Hintergründe insbesondere um die Positionen von Präsident Lyndon B. Johnson korrekt widergibt. Diskutiert wird dies u.a. in einem Artikel der Neuen Zürcher Zeitung