Tempo Girl

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Der junge Schweizer Theaterregisseur Dominik Locher hat mit „Tempo Girl“ seinen Debütfilm gedreht. Dazu kehrte er in sein Heimatdorf in den Waliser Alpen zurück und drehte dort eine Geschichte über eine Berliner Hipster-Braut in der Identitätskrise. In den Hauptrollen spielen die spannenden Nachwuchs-Darsteller Florentine Krafft und José Barros.

Webseite: tempogirl.com

Schweiz 2013
Buch und Regie: Dominik Locher
Darsteller: Florentine Krafft, José Barros, Anatole Taubman, Dani Mangisch, Regula Imboden
Länge: 75 Minuten
Verleih: Spoton Distribution
Kinostart: 2. Juli 2015
 

FILMKRITIK:

Dominique (Florentine Krafft) lebt in Berlin und will Schriftstellerin sein. Aber irgendwie wird das nix mit dem Durchbruch. Im Gegenteil: Ihr Verlagslektor putzt sie wegen ihres letzen Versuchs ins Sachen Belletristik ziemlich herunter und verlangt, sie solle erstmal was erleben, bevor sie sich wieder im Schreiben versucht. Und es stimmt ja: Zusammen mit ihrer besten Freundin zieht sie gelangweilt durch die Clubs der Stadt, hellt mit Drogen die miese Stimmung auf und leistet sich als guilty pleasure eine Affäre mit dem Döner-Verkäufer Deniz (José Barros). So kann es nicht weitergehen, findet Dominique – und zieht mit Deniz im Schlepptau los, um das echte Leben zu finden. Die beiden landen in einem abgelegenen Ort in den Schweizer Alpen, wo sie in einer alten Tankstelle hausen und Dominique bald in einem Strip-Lokal arbeitet. Passiert es jetzt, das Leben? Spätestens, als Dominique schwanger wird schon…
 
Ohne Zweifel war es das Ziel von Dominik Locher, seine Generation der Ende Zwanzig-, Anfang Dreißgjährigen zu porträtieren. „Jeder Weg ist nur einer von vielen in einer Welt, in der mir alle Türen offen stehen. Ich verliere mich im Labyrinth der Möglichkeiten“, schreibt er im Presseheft. Das erste Drittel des Films, das in Berlin spielt, nimmt das Großstadt-Hipstertum kräftig auf die Schippe und zeigt Menschen, die gelangweilt um sich selbst drehen, scheinbar ohne ein Zentrum zu haben. Besonders durch die improvisiert wirkenden Dialoge und eine den Darstellern auf die Haut rückende, unruhige Handkamera erreichen diese Szenen eine große Dichte.
 
Dennoch findet „Tempo Girl“ erst wirklich zu eigener Form, wenn die Geschichte im Wallis ankommt. Deutlich lässt Locher hier Motive aus Western und Vorstadt-Krimi anklingen, wenn er das Figurenpersonal durch einen Zuhälter erweitert. Überraschend anders ist der Blick auf die Alpen als Lebenswelt – das Dorf wirkt hier eher wie ein zubetonierter Transitraum und hat nichts von einer Naturidylle. Interessant ist, dass Lochers Hauptfiguren hier erst richtig in den Fokus kommen. Deniz spürt deutlich, dass er nicht so gebildet ist wie Dominique und aus einer anderen gesellschaftlichen Schicht kommt. Dennoch ist er viel stärker bei sich und wirkt wesentlich authentischer – auch in seiner Liebe zu Dominique. Diese dagegen sucht bis zum Ende sich selber. Bei ihr ist alles Ironie, Zitat, Verfremdung, Selbstversuch. Bis sie schwanger wird. Erst jetzt scheint das wahre Leben anzuklopfen. Aber Dominique gelingt es nicht, sich ihm zu stellen und beschwört so fast eine Katastrophe herauf. Ein drastisch gefilmter medizinischer Eingriff versinnbildlicht den plötzlichen Ernst der Dinge. Aber am Ende scheint Dominique die Erfahrung lediglich zur literarischen Produktion zu dienen.
 
Insofern ist „Tempo Girl“ eine niederschmetternde Bestandsaufnahme. Der Film wirkt spontan und improvisiert und hat noch etwas von einer Fingerübung. Ganz klar aber ist Locher jemand, der filmisch etwas ausdrücken will. Vielleicht gelingt es ihm bei seinem zweiten Film, den er gerade dreht, noch etwas pointierter zu formulieren.
 
Oliver Kaever