That Lovely Girl

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Ein einziger Schockeffekt ist Keren Yedayas Film "That Lovely Girl", der in distanzierten Bilder eine inzestuöse Vater-Tochter-Beziehung beschreibt. Da jeglicher Kontext fehlt, mutet das Verhältnis erschreckend normal an, wirken die Figuren umso gefangener in ihrer Abhängigkeit, was den Film erst recht schwer zu ertragen macht.

Webseite: www.aries-images.de

Israel 2014
Regie: Keren Yedaya
Buch: Keren Yedaya, nach dem Roman von Shez
Darsteller: Maayan Turjeman, Tzahi Grad, Yael Abecassis, Tal Ben Bina
Länge: 97 Minuten
Verleih: Aries Images
Kinostart: 23. April 2014
 

FILMKRITIK:

Die 22jährige Tami (Maayan Turjeman) und der fast 60jährige Moshe (Tzahi Grad) leben zusammen in einer kleinen Wohnung in Tel Aviv. Während er jeden Morgen zur Arbeit geht, führt sie den Haushalt, putzt, wäscht ab und sorgt dafür, dass abends Essen auf dem Tisch steht. Zwischendurch haben sie Sex, anonymen, schnellen Sex. Dass Tami und Mosche Vater und Tochter sind, spielt keine Rolle, ihr Verhältnis wirkt wie das eines lieblosen Paares, dass schon so lange zusammenlebt, dass der Alltag zur reinen Routine geworden ist.

Dass das Verhältnis nicht normal ist, wird immer dann spürbar, wenn Mosche aus dem Korsett ausbricht, wenn er abends spät oder gar nicht nach Hause kommt, wenn Tami ahnt, dass ihr Vater noch eine andere Frau trifft. Dann stopft sich die stämmige junge Frau mit Süßigkeiten voll, um sich anschließend zu erbrechen oder ritzt sich mit einem Rasiermesser die Arme auf.

Als der Vater zum Pessach-Fest seine Freundin Iris (Tal Ben Bina) mit nach Hause bringt ist Tami rasend vor Eifersucht. Sie läuft von zu Hause weg, verbringt die Nacht am Strand, wo sie einer Gruppe junger Männer erlaubt, sie sexuell zu benutzen, und wird am Morgen von Shuli (Yael Abecassis) aufgelesen. Bei der älteren Frau findet Tami obdach, doch die Möglichkeit, sich ihrem Vater endgültig zu entziehen, kann sie noch nicht nutzen.

Selten wurde im Kino ein inzestuöses Verhältnis so beiläufig inszeniert, wie es die israelische Regisseurin Keren Yedeya in ihrem dritten Spielfilm tut. Eigentlich spielt die Tatsache, dass das sado-masochistische Verhältnis zwischen Tami und Mosche gleichzeitig auch eine Vater-Tochter-Beziehung ist keine Rolle, was gleichermaßen Stärke und Schwäche des Films ist. Stärke, weil dadurch das Schrecken dieses Verhältnis nur umso größer wird, Schwäche, weil Yedeya durch den Verzicht auf jeglichen Kontext einen Film gedreht hat, der vollkommen unemotional und oft erschreckend banal ist. Was fraglos intendiert ist, was den Schrecken dieser Beziehung, das Unausweichliche, das Festgefahrene nur noch mehr betonen soll, die Unbegreiflichkeit von Mosches und auch Tamis Verhalten noch deutlicher macht. Denn Tami ist in keiner Weise gefangen in der Wohnung. Sie kann kommen und gehen wie es ihr beliebt, doch sie bleibt. Auch wenn sie bei Shuli eine Alternative angeboten bekommt, gelingt es ihr nicht, sich vom Vater zu lösen: Freiwillig kehrt sie zurück, wohl wissend was auf sie zukommt.

Von beiden Hauptdarstellern ist das eindringlich gespielt, von Keren Yedeya präzise und zurückhaltend in Szene gesetzt und trotz des Themas nie Gefahr laufend, in plakative Exploitation abzudriften. Angesichts der kontextlosen Figuren, der bewusst auf psychologische Erklärungsmuster verzichtenden Erzählungen ist "That Lovely Girl" jedoch ein ausgesprochen schwer zu ertragender Film, der in menschliche Verhaltensmuster blickt, mit denen man nur sehr ungern konfrontiert wird.
 
Michael Meyns