The Salesman

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Mit „Nader und Simin – Eine Trennung“ gelang Asghar Farhadi der ganz große Coup: Gold samt zweimal Silber auf der Berlinale, danach obendrein der Oscar. Auch diesmal erweist sich der iranische Regisseur und Autor als grandioser Geschichtenerzähler. Abermals geht es um ein Ehepaar, dem die Harmonie abhanden kommt. Sowie um die Frage von Schuld, Sühne und Vergebung. Mit enormer Eleganz entwickelt sich dieses clever konstruierte Drama, das durch plausible Figuren sowie exzellente Darsteller überzeugt - und dabei spannend wie ein Thriller ausfällt.

Webseite: www.24-bilder.de

Frankreich, Iran 2016
Regie: Asghar Farhadi
Darsteller: Shahab Hosseini, Taraneh Alidoosti, Babak Karimi, Farid Sajjadihosseini, Mina Sadat
Filmlänge: 125 Minuten
Verleih: Prokino Filmverleih GmbH, Vertrieb: 24 Bilder
Kinostart: 12.1.2017
 

Preise/Auszeichnungen:

Festival de Cannes: Palme für Bestes Drehbuch an Regisseur Asghar Farhadi; Palme als Bester Hauptdarsteller für Shahab Hosseini.

FILMKRITIK:

„Beginnen Sie mit einem Erdbeben und steigern Sie dann langsam!“ – die alte Hollywood-Weisheit von Filmmogul Samuel Goldwyn beherzigt auch der iranische Meister-Regisseur Asghar Farhadi. Zumindest ein bisschen jedenfalls. Bei ihm droht mitten in der Nacht ein großes Wohnhaus plötzlich einzustürzen. Panisch rennen die Bewohner nach draußen. Einer von ihnen behält im Chaos die Nerven und zeigt sein großes Herz: Er rettet erst den behinderten Nachbarn, bevor er sich selbst in Sicherheit bringt. Welch guter Mensch dieser Emad ist, wird sich noch mehrfach zeigen. Seiner Ehefrau Rana ist er ein fürsorglicher Gatte. Die Schüler mögen ihn als verständnisvollen Lehrer. In der Hobby-Theatergruppe, wo gerade „Tod eines Handlungsreisenden“ geprobt wird, ist Emad gleichermaßen bei allen beliebt. Einer der Mitspieler vermittelt dem obdachlosen Paar spontan eine neue Wohnung. Alles scheint gut. Merkwürdig nur, dass die Vormieterin ihre Habseligkeiten trotz mehrfacher Aufforderung nicht abholt. Zudem wissen die Nachbarn über die einstige Bewohnerin nur wenig Nettes zu berichten, von häufigen Herrenbesuchen wird gemunkelt. Emad und Rana kümmert das zunächst kaum, sie sind mit ihrer Theaterprobe beschäftigt.
 
Dann kommt es abermals ganz unvermittelt zur Tragödie. In Erwartung ihres Ehemanns hat die Frau beim Klingeln auf den Türöffner gedrückt und geht zum Duschen in das Badezimmer. Als Emad später tatsächlich nach Hause kommt, findet er die Wohnung leer. Die Nachbarn berichten von einem Unglücksfall. Viel mehr kann von der Handlung kaum preisgegeben werden, ohne die Spannung zu verderben. Nur soviel sei verraten: Emad macht sich auf die Suche nach dem Eindringling. Und gerät dabei, zur wachsenden Beunruhigung seiner Gattin, zunehmend an seine moralischen Grenzen. Wie ihr einstiges Domizil, so bekommt nun auch die bislang harmonische Beziehung höchst bedrohliche Risse.
 
Einmal mehr bleibt Autor und Regisseur Asghar Farhadi seinem Ruf als großartiger Geschichtenerzähler treu. Hier verknüpft er auf raffinierte Weise das reale Drama um Schuld und Vergebung mit dem parallel stattfindenden Theaterstück „Tod eines Handlungsreisenden“, das seine Protagonisten aufführen. Was bei anderen Filmen leicht zur plumpen Zeigefinger-Metaphorik verkommen könnte, gerät bei Farhadi hier zum unaufdringlichen Kunstgriff der eleganten Art: Atempause in dem enorm spannenden Moral-Thriller zum einen, distanzierter Kommentar zum Geschehen andererseits.
 
Die Konstruktion der komplexen Figuren gelingt mit jener psychologischen Präzision, die das Publikum sofort ergreift, zur Empathie einlädt. Da muss nur minimal an den emotionalen Stellschrauben gedreht werden, schon ändert sich das Bild von Opfer, Täter oder dem selbstgerechten Rächer radikal. Wie schon bei „Nader und Simin – Eine Trennung“ funktioniert diese Ambivalenz erst durch hochkarätige Darsteller. Shahab Hosseini wurde für seine dortige Leistung (gemeinsam mit dem ganzen Ensemble) einst auf der Berlinale preisgekrönt, diesmal bekam er in Cannes die Palme. Dass seine an Intensität ebenbürtige Partnerin Taraneh Alidoosti nicht gleichfalls auf dem Siegertreppchen stand, gehört zu den Geheimnissen jener Jury, die bekanntlich als „Toni Erdmann“-Trottel in die Festival-Geschichte einging.
 
Mit diesem makellosen, ebenso ergreifenden wie nachdenklich stimmenden Psycho-Thriller hat  Asghar Farhadi sich seinen Platz im exklusiven Club der grandiosen Filmkünstler souverän behauptet.
 
Dieter Oßwald