Uta

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Das Porträt der All-Round-Künstlerin Uta Pilling erzählt zunächst einmal die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau, ist aber noch viel mehr: Familienporträt, Liebesgeschichte und letztlich die Bekanntschaft mit einem Menschen, der sich nicht unterkriegen lassen will. Mario Schneider begleitet die beinahe blinde Straßenmusikantin in sanften Schwarz-Weiß-Bildern. Dabei nähert er sich ihr anfangs zurückhaltend. Später scheint es, als ob er sich immer mehr auf Uta und ihre Lebensumstände einlässt, während sie ihm gegenüber immer offener wird. Ein sehenswerter, kleiner Dokumentarfilm über die Liebe zum Leben und zu den Menschen.

Website: https://www.gmfilms.de/Uta

Dokumentarfilm
Deutschland 2019
Buch, Regie: Mario Schneider
Länge: 104 Minuten
Verleih: GMfilms
Kinostart: 7.10.2021

FILMKRITIK:

Am Anfang steht Utas 70. Geburtstag. Sie trägt eine Mütze, wie fast immer, und zur Feier des Tages einen kleinen Kopfputz mit einer 70 darauf. Ihre Tochter Noa hält eine Rede und bedankt sich dafür, dass ihre Mutter sie auf die Welt gebracht hat. Uta hört dem Lied, das Noa für sie singt, lächelnd und mit geschlossenen Augen zu. Das nächste Bild zeigt Uta in Schwarz-Weiß, unterwegs in der nächtlichen Stadt. Die Bilder der Trambahn und der Autoscheinwerfer fließen ineinander. Utas Blindenstock tastet sich durch die Straßen. Dann beginnt sie ihre Lebensgeschichte zu erzählen.

Wie sie eigentlich gar nicht geboren werden sollte, weil die Ärzte sie im sechsten Schwangerschaftsmonat für tot erklärten und die Geburt einleiteten. Wie ihre Mutter plötzlich eine Bewegung spürte und sie tatsächlich leben durfte. Parallel zu Utas Erzählungen nimmt man an ihrem Alltag teil, an den Auftritten in der Fußgängerzone, wo sie zu Akkordeonbegleitung ihre poetischen, kritischen Lieder singt. Manchmal bleiben Menschen stehen, hören ihr ein Weilchen zu und lassen etwas Geld zurück. Zuhause, in der vollgeräumten Altbauwohnung braucht Uta keinen Blindenstock. Sie schreibt und liest mit einer Lupe. Fast immer ist sie mit anderen zusammen: Da ist ihr Lebensgefährte Jens, da sind die Kinder und die Enkelkinder. Uta besucht ihre Schwester auf Hiddensee und geht zu den Auftritten von Jens, wenn er eine Lesung oder einen Theaterabend gibt. Sie schert sich nicht um Konventionen, Geld und Gut interessiert sie nicht. Immer mehr erfährt man von Utas Leben, von Schicksalsschlägen, von den gewaltigen Lasten, die sie mit sich herumträgt. Irgendwie hat sie alles ausgehalten, und nun trifft sie eine neue Krise: Jens hat sich in einen jungen Schauspieler verliebt. Aber sie hält auch das durch, und da ist sie heute: freundlich lächelnd, eine Frau mit einem riesengroßen Herzen, die sehr schön erzählt, in druckreifen Sätzen spricht und ihr Herz auf der Zunge trägt. Am Ende kehrt der Film zum Anfang zurück, der 70. Geburtstag wird weitergefeiert.

Mario Schneider nähert sich seiner Protagonistin mit viel Respekt, als wolle er sie erst ein bisschen besser kennenlernen, bevor es an die Substanz geht. Uta lädt praktisch zur Fehleinschätzung ein. Äußerlich betrachtet könnte sie eine Obdachlose sein, doch hinter der ärmlichen Fassade verbirgt sich eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Bei ihr, wie auch bei vielen anderen, zeigt sich einmal mehr, dass man sich nicht nach Äußerlichkeiten richten sollte. Uta gehört zu der seltenen Spezies von Menschen, die sich den Gesetzen der Gesellschaft teilweise oder ganz verweigern. Sie ist intelligent und vielseitig begabt, aber vielleicht fehlte ihr ein wenig der Ehrgeiz, oder vielleicht ist und war ihr die Familie, zu lieben und geliebt zu werden, wichtiger als irgendeine Form von Karriere? Sie kann und will sich nicht anpassen. Man könnte sie als Exzentrikerin bezeichnen oder als Original. Sie ist eine Nonkonformistin, wie sie im Buche steht. Im Paris der 50er Jahre wäre sie mit Sartre und de Beauvoir befreundet gewesen. Dieser Typus des Lebenskünstlers ist beinahe ausgestorben, doch er lebt in Jens und noch mehr in Uta. Ihr ist jede Form von Eitelkeit fremd, sie liebt den intellektuellen Diskurs, ist aber keine Intellektuelle im herkömmlichen Sinn – sie ist eine Geschichtenerzählerin, eine Frau, die ihre Lebensfreude und ihre Liebe großzügig in alle Richtungen verteilt.

In matten Schwarz-Weiß-Bildern, die gelegentlich daran erinnern, dass Uta kaum etwas sehen kann, reist Mario Schneider gemeinsam mit ihr in die Vergangenheit. Dabei gelangen sie bis an die Grundmauern ihrer Persönlichkeit. Immer stärker wird der Bezug ihrer Lieder zu einem Leben, das sie oft an ihre Grenzen führte und darüber hinaus. Utas DDR-Vergangenheit wird dabei kaum thematisiert. Kein Wunder – Sie lehnt vermutlich jede Form von Herrschaft ab, egal, welches System dahintersteckt, und ihre Songs sind ein Spiegel dieser Einstellung, irgendwo zwischen Anarchie, Poesie, Wurschtigkeit und Kapitalismuskritik. So liebenswert sie ist, so scharfzüngig kann sie sein. „Ich konnte noch nie meine Klappe halten“, sagt sie.

Mario Schneider setzt dieser ganz besonderen Frau mit seinem Film ein kleines Denkmal, das so ist wie Uta selbst: unauffällig und unprätentiös, bescheiden und bereichernd.

Gaby Sikorski