800 Mal Einsam – Ein Tag Mit Dem Filmemacher Edgar Reitz

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Er ist einer der bedeutendsten deutschen Regisseure der Nachkriegszeit: Edgar Reitz, der vor allem mit den ab 1984 veröffentlichten „Heimat“-Filmen Weltruhm erlangte. In „800 Mal Einsam“ nähert sich die Dokumentarfilmerin Anna Hepp ihrem filmischen Vorbild an, versucht dabei jedoch immer wieder mehr zu sein als klassisches Porträt.

Webseite: www.dejavu-film.de

Dokumentation
Deutschland 2018
Regie: Anna Hepp
Länge: 84 Minuten
Verleih: déjà-vu Film
Kinostart: 5. März 2020

FILMKRITIK:

1932 geboren, ist Edgar Reitz klassisches Nachkriegskind, das die letzten Jahre Nazizeit und Krieg noch bewusst miterlebte, vor allem aber auch den Wiederaufbau, die fehlende Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Wenig überraschend also, dass Reitz 1962 zu den Verfassern des „Oberhausener Manifests“ gehörte, eine Polemik, mit denen sich eine neue Generation von deutschen Filmemachern, vom in ihren Augen verstaubten Papas Kino lossagten und fortan eigene Wege gehen wollten.
 
Für Reitz bedeute dies lange Jahre der gescheiterten Projekte, auch einiger realisierter, die mit ihrem experimentellen Charakter deutlich als Kinder ihrer Zeit zu erkennen sind. Ausgerechnet der größte Misserfolg sollte dann Antrieb zu dem Projekt werden, dass Reitz Lebensaufgabe wurde. Nachdem 1978 der Spielfilm „Der Schneider von Ulm“ bei Kritik wie Publikum durchfiel, stand Reitz vor dem Ruin und besann sich auf seine Heimat, den Hunsrück.
 
Zunächst entstand eine dokumentarische Annäherung an Menschen und Orte, 1984 dann schließlich der große Wurf, die 15 ½ Stunden lange Fernsehserie „Heimat“, die im In- und Ausland viel diskutiert wurde. Allein über die Bedeutung, den Einfluss, die künstlerischen Mittel dieses Epos, ließen sich Bücher schreiben und Dokumentationen drehen, doch Anna Hepp geht es in ihrer Annäherung „800 Mal Einsam“ um anderes.
 
Kein klassisches Porträt von Edgar Reitz schwebt Hepp für ihre erste lange Regiearbeit vor, kein Abhaken von Leben und Werk, von Anekdoten und Erinnerungen. Dabei wäre das gerade im Fall von Reitz problemlos möglich gewesen, ist der inzwischen 87jährige doch immer noch ein extrem wacher Geist, der keine Spur von Altersmilde zeigt. Klar, präzise und kritisch reflektiert Reitz seinen Werdegang, die Schwierigkeit, sich vom konservativen, katholischen Elternhaus zu lösen und eine künstlerische Karriere einzuschlagen, die Entstehung des Oberhausener Manifests, das Wagnis, seine und die Erinnerungen seiner Familie als Material für Filme zu verwenden.
 
Leider belässt es die nicht zufällig an der Kölner Kunsthochschule für Medien ausgebildete Hepp nicht immer dabei, Reitz und seinem Werk Raum zu geben. Immer wieder streut sie selbstreflexive Momente ein, nimmt selbst fast so viel Raum ein wie Reitz, lässt auch Kameramänner oder die Tonfrau in Bild und Ton auftreten, im Bemühen, dem Film eine experimentelle, metatextuelle Note zu geben.
 
Gefilmt wurde größtenteils in der komplett leeren Essener Lichtburg, einem der größten, ältesten Kinos Deutschland, wohl auch ein Symbol für eine sich verändernde Kinokultur, in der es ambitionierte Werke wie die „Heimat“ immer schwerer haben. Der Wechsel zwischen Aufnahmen in schwarzweiß und Farbe zitieren ebenso wie manche Schnittfolgen bewusst die Arbeiten Reitz, doch wirklichen Erkenntnisgewinn bieten diese Spielereien kaum.
 
Am stärksten ist „800 Mal Heimat“ immer dann, wenn er sich ganz auf sein Subjekt konzentriert, wenn er ganz bei Edgar Reitz ist. Ihm zuzuhören, wie er von Kämpfen, Verlusten und Erfolgen erzählt, vom harten, aber notwendigen Kampf um Qualität, das ist inspirierend und ergreifend. Mehr hätte es gar nicht gebraucht.
 
Michael Meyns