Auch Leben ist eine Kunst – Der Fall Max Emden

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In den 1920er-Jahren gehörte er zu den wohlhabendsten Deutschen und zu den bedeutendsten Mäzenen Hamburgs: der jüdische Geschäftsmann Max Emden. Heute sagt sein Name kaum mehr jemandem etwas. Dabei verbirgt sich hinter seiner (Lebens- und Leidens-) Geschichte ein tragisches Schicksal, das als Paradebeispiel für die Folgen der Beutezüge, Kunstdiebstähle und Enteignungen im Dritten Reich dient - und stellvertretend für das staatliche sowie behördliche Versagen im Umgang mit den Hinterbliebenen der NS-Opfer steht.

Webseite: www.realfictionfilme.de

Dokumentation
Deutschland 2018
Regie: Eva Gerberding, André Schäfer
Länge: 90 Minuten
Kinostart: 25. April 2018
Verleih: Real Fiction

FILMKRITIK:

Vor 90 Jahren wusste fast jeder in Deutschland mit dem Namen „Max Emden“ etwas anzufangen. Damals war der einer jüdischen Handelsfamilie entstammende Emden der unangefochtene „Kaufhauskönig“ Europas: Er besaß mit dem Berliner KaDeWe und dem Münchener Oberpollinger zwei der größten Kaufhäuser ihrer Zeit. Sein Geld investierte der passionierte Golfspieler vor allem in Gemälde und andere Kunstgegenstände. Dann begann mit der Machtergreifung der Nazis das dunkelste Kapitel in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Emden ging ins Exil in die Schweiz. Sein Vermögen wurde beschlagnahmt, seine Besitztümer enteignet. Die Regisseure Eva Gerberding und André Schäfer beleuchten Emdens Schicksal und holen seinen Namen zurück ins kollektive Gedächtnis.

Geberding und Schäfer widmen sich in ihrer Doku nicht einem fast unbekannten Kapitel des Themas „NS-Raubkunst“. Die studierte Historikerin Gerberding wirkt seit 20 Jahren an der Realisierung von Dokus und Magazinbeiträgen für Rundfunk, Print- sowie Online-Medien mit. Darüber hinaus veröffentlichte sie Reisebücher und Werke über Kunst und Kultur. Der Autor und Produzent André Schäfer, der in München u.a. Journalistik studierte, schreibt für die Zeit, die taz sowie die Frankfurter Rundschau. Seit 2001 realisiert er Dokus, von denen einige mit Preisen ausgezeichnet wurden.

Akkurat und umfassend arbeitet der Film Emdens Geschichte auf, in der sich viel um Vergessen und Verdrängung dreht. Einer, der nicht vergessen kann: Juan Carlos Emden, Max Emdens Enkel. Er wandelt auf den Spuren seines Großvaters, um herauszufinden, was mit den Besitztümern des einst so einflussreichen Mannes geschah.

Juan Carlos ist – neben dem Porträtierten selbst – die mit Abstand wichtigste Figur. Er führt gewissermaßen durch das Werk, ist bei Gesprächen mit Familienmitgliedern zu sehen und wird von den Regisseuren immer wieder ausführlich befragt. Seit Jahrzehnten schon kämpfen er und seine Familien einen aussichtlos erscheinenden, zermürbenden Kampf gegen die Behörden und staatlichen Institutionen.  Es geht um Wiedergutmachung und Entschädigung der Opfer gewaltsamer Enteignungen und nationalsozialistischen Kunstraubs.

Zunächst aber verwendet der Film viel Zeit darauf, dem Zuschauer die Person und das Wirken Emdens näherzubringen. Dabei wird schnell deutlich: Der 1940 verstorbene Emden war, schaut man sich seinen dekadenten Lebensstil an, alles andere als ein „typisches“ NS-Opfer. Im Gegenteil: Emden schwelgte im Luxus und zeigte seinen Besitz. In der Schweiz erwarb er die malerischen Brissago-Inseln im Lago Maggiore und ließ dort eine prächtige Villa für seine Kunstsammlung bauen. Stets braun gebrannt und umgeben von jungen, hübschen Frauen (davon zeugen die vielen Bilder aus Emdens Privatbesitz), vergnügte er sich auf seinen Motoryachten und beim Reiten. „Auch Leben ist eine Kunst“ verweist darüber hinaus aber ebenso explizit darauf, was er für seine Heimatstadt Hamburg alles tat: Er förderte die Kunst, Forschung sowie die Wissenschaft und stiftete seiner Heimatstadt den ersten Golfclub.

Formal und strukturell kommt „Leben ist eine Kunst“ wenig überraschend daher, da man auf die gängigen dokumentarischen Versatzstücke setzt: Interviews, Archivmaterial, private Videoaufnahmen und andere historische Zeugnisse. Dennoch wirkt die Doku in ihrer  Gesamtheit ausgewogen und in sich schlüssig, da Gerberding und Schäfer all diese Einzelelemente zu einem insgesamt aufschlussreichen, stimmigen Werk vermengen.

Björn Schneider