Barstow, California

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„Get your kicks on Route 66“ heißt es in einem berühmten Song, doch beileibe nicht jeder Ort an der Straße, die gerade für Nicht-Amerikaner einen Traum von Amerika verkörpert, hält was der Mythos verspricht. So ein Ort ist „Barstow, California“ den Rainer Komers in seiner Dokumentation als Ausgangspunkt für einen Film über ein anderes Amerika nimmt.

Webseite: jip-film.de/barstow-california/

Dokumentation
Deutschland/ USA 2018
Regie: Rainer Komers
Buch: Rainer Komers & „Spoon“ Jackson
Länge: 76 Minuten
Verleih: jip Verleih
Kinostart: 3. Oktober 2019

FILMKRITIK:

Landscape Listening nennt Rainer Komers die Filme seiner lose Trilogie über Amerika, die er mit „Barstow, California“ abschließt. Ein Bergbaugebiet in Alaska und ein Kupferabbaugebiet in Montana waren die Schauplätze von „Nome Road System“ (2004) bzw. „Milltown, Montana“ (2010) und eine Mine ist auch eine der wenigen „Sehenswürdigkeiten“ der kalifornischen Kleinstadt Barstow. Nur gut 100 Kilometer nordöstlich von Los Angeles gelegen könnte Barstow doch nicht weiter entfernt von der Metropole am Pazifik sein. Mitten in der Mojawe-Wüste gelegen erlebte die Stadt durch Goldfunde eine kurze Blüte, dass die transkontinentale Eisenbahn sie durchquert, hält sie am Leben, zumindest mehr oder weniger.
 
Was Komers auf Barstow aufmerksam machte, waren die Gedichte des inzwischen wohl berühmtesten Sohn der Staat: Stanley „Spoon“ Jackson. 1977, als er erst 20 Jahre jung war, hatte der Schwarze einen Mord begangen und war von einer nur mit weißen besetzten Jury zu lebenslanger Haft ohne die Möglichkeit auf Bewährung verurteilt worden. In diversen Gefängnissen Kaliforniens lebt Jackson seitdem, unter anderem den ebenso legendären wie berüchtigten Haftanstalten Folson und San Quentin. In letzterem nahm er an einem Schreibkurs teil, entdeckte sein Talent für Poesie und hat seitdem diverse Gedichte, aber auch andere Texte wie Essays und Theaterstücke veröffentlicht.
 
In „Barstow“, California“ geht es nun jedoch nicht unmittelbar um „Spoon“ Jackson, um seine Schuld oder die Frage, ob die lebenslange Haft exzessiv ist. Doch auch wenn Jackson nie zu sehen ist, prägt seine Stimme, seine Präsenz den Film. Passagen aus seinem autobiographischen Buch „By Heart“, vorgelesen von Jackson selbst, durchziehen den Film, beschreiben ein anfangs unbeschwertes Aufwachsen in der Stadt, vor allem aber auch die raue Landschaft Südkaliforniens.
 
Mehr als eine verlassene Mine und ein Trainingsgelände der amerikanischen Armee, in der der Häuserkampf geübt wird, gibt es heute nicht in Barstow. An diesen Orten hat Komers gefilmt, in meist starren, genau durchdachten Einstellungen, die viel über das Leben in einem geradezu sprichwörtlich gottverlassenen Ort erzählen. Eingefügt sind viele kurze Gespräche mit Einwohnern der Stadt, die der auf den ersten Blick trostlosen Atmosphäre ihrer Heimat einen sehr amerikanischen Optimismus entgegensetzen.
 
Auch die Brüder Jacksons wirken in keinem Moment verbittert über das harsche Schicksal, dass ihre Familie erlitten hat, was bleibt ihnen auch übrig? Das Leben in Barstow geht seinen Gang, so wie es wohl nur wenig verändert seit langem tut. Gerade das die Stadt so wenig bemerkenswert ist, macht sie durch den genauen Blick eines Filmemachers wie Rainer Komers zu so einem interessanten Objekt. Nicht die üblichen Orte, Personen oder Geschichten, die meist in Dokumentationen über die Vereinigten Staaten auftauchen, sind hier zu sehen und zu hören, sondern ein Aspekt des Landes, das im europäischen, gerade auch deutschen Blick meistens außen vor bleibt.
 
Michael Meyns