Cause of Death: Unknown

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Mit ihrem ersten langen Dokumentarfilm „Cause of Death: Unknown“ gelingt der norwegischen Regisseurin Anniken Hoel ein erstaunlicher Spagat: Den plötzlichen, ungeklärten Tod ihrer älteren Schwester nimmt sie als Ausgangspunkt einer investigativen Recherche in die Funktionsweisen der Pharmaindustrie, die gleichermaßen emotional ist, dabei aber doch bemerkenswert rational.

Webseite: www.cause-of-death-unknown.com/

Dokumentation
Norwegen 2016
Regie & Buch: Anniken Hoel
Länge: 87 Minuten
Verleih: Rise and Shine Cinema
Kinostart: 12.10.2017

FILMKRITIK:

Seit Jahren hatte ihre Schwester Renate an psychischen Problemen gelitten, war von zahllosen Ärzten untersucht und diagnostiziert worden und wurde immer wieder in Kliniken eingewiesen. Ihr Tod im Jahr 2005, als sie nur 34 Jahre alt war, kam dennoch überraschend und wurde nie geklärt. Das sagten zumindest die behandelnden Ärzte, doch mit dieser Antwort wollte sich Anniken Hoel nicht zufrieden geben und begab sich auf eine langwierige Recherche.
 
Wie ein Pharma-Thriller ist ihr daraus entstandener Dokumentarfilm „Cause of Death: Unknown“ bisweilen inszeniert, wie eine Ermittlung in die finsteren, immer weitere Kreise ziehenden, kaum zu glaubende Ausmaße annehmenden Machenschaften einer Industrie, die Milliarden umsetzt und vorgeblich das Wohl der Menschen im Sinn hat. Vorgeblich, weil es eine der grundlegenden Paradoxien der westlichen Medizin- und Pharmaindustrie ist, dass Geld nicht dann verdient wird, wenn Menschen gesund sind, sondern wenn sie krank sind, am besten möglichst lange.
 
Nichts ist dabei besser für die Pharmaindustrie als chronische Krankheiten, die die tägliche Einnahme von Medikamenten verlangen. Wenn man dann noch das Monopol auf eine Tablette hat, hat man sozusagen den Jackpot gewonnen und die Kassen klingeln. So eine goldene Tablette, ein scheinbares Wundermittel, war das Antidepressiva Prozac, das in Amerika 1987 auf den Markt kam. Verblüffenderweise wurden in den folgenden Jahren immer mehr Menschen als depressiv kategorisiert, was nicht zuletzt daran lag, dass nicht nur speziell ausgebildete Psychiater sondern auch Allgemeinärzte das Mittel verschreiben durften. Die Anzahl der als psychisch krank diagnostizierten Menschen erhöhte sich daher enorm, nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa, wo die Pharmalobby Millionen Euro investiert, um ihr genehme Regelungen und Gesetze zu erreichen.
 
In dieses Wespennest sticht Anniken Hoel mit ihrer erstaunlich unaufgeregten Recherche. Was besonders überrascht, da sie bald zu der Überzeugung kommt, dass der Tod ihrer Schwester vermutlich durch die unsachgemäße Verabreichung eines Tabletten-Cocktails verursacht wurde, für den sich aber nie ein Arzt verantworten musste. Manche Dokumentation, gerade wenn sie so bewusst subjektiv erzählt ist wie diese, wären dadurch unerträglich sentimental geworden, hätten die persönliche Note dazu benutzt, um Sympathie zu erheischen. Nicht so Anniken Hoel.
 
Zwar ist „Cause of Death: Unknown“ auch eine sehr persönliche Geschichte über den Tod ihrer geliebten Schwester, bleibt aber vor allem die genau recherchierte Anklage einer fragwürdigen Branche. So offensichtlich sind die problematischen Strukturen, der Mangel an Kontrolle, das Profitdenken, dass es gar nicht nötig ist, besonders polemisch zu werden. Allein die sachliche Darstellung der Tatsachen reicht aus, dass die Haare zu Berge stehen: Wie kann es etwa sein, dass Pharmaunternehmen Einfluss auf die Richtlinien haben, nach denen psychische Krankheiten diagnostiziert werden, also mitbestimmen, wann Medikamente verschrieben werden? Offensichtlicher können Interessenkonflikte eigentlich kaum sein, doch in der Pharmabranche ist es Realität.
 
Gerade das Anniken Hoel die Ergebnisse ihrer Recherche so nüchtern und sachlich vorbringt, macht ihren Film so eindringlich und zu viel mehr als einem bewegenden Abschied von ihrer Schwester.
 
Michael Meyns