Cunningham – Tanz ist Kunst

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Wer sich fürs Ballett und für klassische wie moderne Tanzkunst interessiert, wird Merce Cunningham kennen und gehört damit automatisch zur Zielgruppe für das Biopic über ihn und seine Arbeit, das anlässlich des 100. Geburtstags des Künstlers ins Kino kommt. Und wer ihn noch nicht kennt, hat hier die Möglichkeit, seinen revolutionären Umgang mit dem Bewegungstheater kennen zu lernen und sich ein eigenes Bild vom Wirken des 2009 verstorbenen Choreographen und Tänzers zu machen. Sehr schöne, ästhetische Bilder bestimmen die Tanzszenen, viele mit der Musik von John Cage und anderen zeitgenössischen Komponisten. Eher wenig ist leider über Merce Cunninghams Leben und seine intensive Zusammenarbeit mit anderen Künstlern zu erfahren.

Webseite: cunningham3d.de

Dokumentarfilm
Deutschland, Frankreich, USA 2019
Buch und Regie: Alla Kovgan
93 Minuten
Verleih: Camino Filmverleih
Start: 19. Dezember 2019
2D & 3D (Gesehen wurde die 2D-Version.)

FILMKRITIK:

Merce Cunningham prägte in einer beispiellosen, über 70-jährigen (!) Karriere den modernen Tanz des 20. Jahrhunderts. Sein Beitrag liegt dabei zum einen in der Verbindung von klassischem Ballett mit möglichst natürlichen Bewegungsabläufen, zum anderen aber auch in einem neuartigen, seinerzeit schockierenden Umgang mit Musik und Klängen und in der generellen Präsentation der Tanzenden – er stellte die klassischen Vorgaben in Frage und fand neue, eigene Interpretationen, die sich am Zeitgeist orientierten, aber auch an den generellen Freiheiten der modernen Kunst. Die 68er Jahre, die Zusammenarbeit mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, von denen auch der Maler Robert Rauschenberg als Wegbereiter der Pop Art zu nennen wäre, der für viele Bühnenbilder von Merce Cunninghams Aufführungen verantwortlich war. Die größten Inspirationen für seine Werke gingen jedoch von seiner Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Allround-Künstler John Cage aus, der sein Lebens- und Arbeitspartner wurde. Insgesamt hat Merce Cunningham vieles andere mit begründet, was im zeitgenössischen Ballett heute selbstverständlich ist. Neben künstlerischen Aspekten, wie Musik, Kostüme, Kulisse und Choreographie, zählt dazu auch die teils eigenverantwortliche Organisation und Verwaltung der Tanzenden. Cunninghams Dance Company wurde ebenfalls zum Vorbild für andere, die ihm nachfolgten, Pina Bausch und Sasha Waltz gehören dazu. Im Mittelpunkt des Biopics stehen seine Choreographien, die von ehemaligen Mitgliedern seiner Company getanzt werden. Diese farbenfrohen und ästhetisch beeindruckenden Auftritte werden von moderner Musik begleitet, in der beispielsweise einzelne Töne wie die Farbtupfer kombiniert werden, die sich auf den Kostümen der Tanzenden wieder finden. Das ist sicherlich nicht jedermanns Sache, und deshalb soll auch ganz klar gesagt werden, dass dies kein üblicher Tanzfilm ist, auch kaum vergleichbar mit "Pina" von Wim Wenders, obwohl das nahe liegend wäre. Das sicherlich aufregende Leben des Künstlers, dessen 100. Geburtstag im Jahr 2019 gefeiert wird, steht deutlich weniger im Fokus des Films. Leider erfährt man auch nur wenig über die gemeinsame Arbeit von Merce Cunningham und John Cage, wobei es eigentlich ganz angenehm ist, dass die offene Homosexualität der beiden nicht weiter thematisiert wird. Das hat etwas sehr Normales, was ja durchaus erstrebenswert ist. Dennoch wäre es interessant gewesen, mehr darüber zu erfahren, wie die beiden Multitalente zusammengearbeitet haben.
 
Die Filmemacherin Alla Kovgan hat einen so zurückhaltenden und bescheidenen Film gedreht, dass ihr Werk wohl wirklich vor allem echte Fans ansprechen wird. Alla Kovgan, die bisher als Dokumentarfilmerin kaum in Erscheinung trat, verwendet Originalmaterial, wie Fotos, Filmaufnahmen und alte Interviews mit Merce Cunningham, aber auch Gespräche mit einigen Weggefährten. Im Vordergrund stehen jedoch die Neuinszenierungen seiner Choreographien, getanzt von den Mitgliedern seiner Dance Company, die auch selbst zu Wort kommen. Doch während die sauber gefilmten Tanzszenen viel atmosphärisches Zeitkolorit wiedergeben, bleiben alle Aussagen über Merce Cunningham selbst seltsam kühl. Das ist besonders für die weniger informierten Tanzfans schade, denn man hätte doch gern noch ein wenig mehr über die schillernde Persönlichkeit des revolutionären Choreographen erfahren.
 
Gaby Sikorski