Das Gesetz der Familie

Zum Vergrößern klicken

Ein besonderes Vater-Sohn-Verhältnis steht im Zentrum von Adam Smiths packender Außenseiter-Geschichte „Das Gesetz der Familie“. Michael Fassbender und Brendan Gleeson übernahmen die Rollen der beiden Generationen, deren Entfremdung zu immer größeren Anspannungen führt. Schließlich droht die verschworene Gemeinschaft, an einem geplanten Raub auseinander zu brechen. Gleeson als patriarchalisches Clan-Oberhaupt und Fassbender als lange Zeit folgsamer „Thronfolger“ liefern sich in Smiths Spielfilmdebüt ein sehenswertes Duell.

Webseite: www.dasgesetzderfamilie.de

OT: Trespass against us
UK 2016
Regie: Adam Smith
Musik: Tom Rowlands (The Chemical Brothers)
Darsteller. Michael Fassbender, Brendan Gleeson, Georgie Smith, Lyndsey Marshal, Rory Kinnear
Laufzeit: 99 Minuten
Verleih: Koch Media, Vertrieb: 24 Bilder
Kinostart: 3.8.2017

FILMKRITIK:

Ein Trailer Park vor englischer Postkartenidylle. Ausgerechnet im noblen Gloucestershire lebt der berüchtigte Cutler-Clan in einer heruntergekommenen Wohnwagensiedlung. Obwohl die Behörden die eigenwilligen Trailer-Bewohner, die ihr Außenseiterdasein mit Diebestouren und Gaunereien finanzieren, schon lange beobachten, fehlten bislang immer die nötigen Beweise für eine Festnahme. Clan-Oberhaupt Colby (Brendan Gleeson) ist sichtlich stolz auf seine Schlitzohrigkeit und den Zusammenhalt der Gruppe. Er sieht sich selbst als radikalen Freigeist, der mit allen gesellschaftlichen Regeln gebrochen hat. Genau diese Sicht auf die Welt hat er auch an seinen Sohn Chad (Michael Fassbender) weitergegeben. Und obwohl Chad es nicht anders kennt und er nie zur Schule gegangen ist, kommen ihm allmählich Zweifel an dieser Art zu Leben. Für seinen eigenen Sohn Tyson (Georgie Smith) und die kleine Mini wünscht er sich ein sicheres Zuhause und vor allem mehr Freiheit. Er ahnt, dass er damit seinen Vater verärgern wird. Ein schwelender Konflikt droht zu eskalieren.
 
Regisseur Adam Smith, der zuvor hauptsächlich Musikvideos und TV-Serien („Doctor Who“, „Skins – Hautnah“) inszenierte, hatte das Glück, Brendan Gleeson und Michael Fassbender für sein Spielfilmdebüt gewinnen zu können. Beide zeigten von Beginn an großes Interesse für diese nur oberflächlich ungewöhnliche Familiengeschichte, in der durchaus universelle Themen verhandelt werden. So geht es einerseits um das Festhalten an Traditionen und andererseits um die Idee, aus diesen endlich ausbrechen. Auch der Wert der Freiheit und deren Grenzen kommen in „Das Gesetz der Familie“ zu Sprache. Chads Wunsch, der Kontrolle durch den eigenen Vater zu entkommen, beschreibt den Konflikt, aus dem der Film schließlich seine größte Intensität und Spannung entwickelt. Immer wieder streut Smith zudem gekonnt Heist- und Thriller-Elemente in die Erkundung seines Outsider-Milieus ein. Tatsächlich kann man Chads Entwicklung auch als verspätetes Coming-of-Age-Erlebnis betrachten.
 
Trotz dieser Vielzahl an Genreeinflüssen folgt das Drehbuch von Alastair Siddons einem bewährten Konzept. Der Beziehung zwischen Vater und Sohn, zwischen Gleesons unbeugsamem Familienpatriarch und Fassbenders stillem Rebell, gehört Smiths ungeteilte Aufmerksamkeit. Sie ist das dramaturgische wie emotionale Gerüst seines Films, der abseits mancher „White Trash“-Skurrilitäten im Kern letztlich eine fast schon klassische Familiengeschichte erzählt. Die Konflikte, die hier von Vater und Sohn ausgetragen werden, sind nicht neu und gehen doch dank der intensiven Darstellung von Gleeson und Fassbender unter die Haut. Ein Kinobesuch lohnt allein schon, um beide im schauspielerischen Infight zu beobachten. Fassbender, bekannt für seine Perfektion, hat sich sogar den um Gloucestershire gesprochenen Akzent antrainiert. Berührend – dabei ganz ohne melodramatische Tricks – sind nicht zuletzt die unbeschwerten Momente zwischen Chad und seinem 8-jährigen Sohn Tyson. Darin beleuchtet Smith ein vollkommen anderes Vater-Sohn-Verhältnis. Einfühlsam, liebevoll, voller Zutrauen und gänzlich ohne Angst.
 
„Das Gesetz der Familie“ ist aber auch ein erstaunlich konservativer Film. Das trifft zum einen auf seine Figuren zu, die sich ungeachtet ihrer scheinbar radikalen Lebensweise meist an sehr traditionellen Werten und Strukturen orientieren. Der Glauben ist vielen von ihnen wichtig, eine klare Hierarchie ebenso. Smiths Langfilmdebüt fehlt es zudem an einer weiblichen Perspektive. Auch wenn Chads Ehefrau Kelly (Lyndsey Marshal) gelegentlich aus dem langen Schatten der beiden männlichen Protagnisten heraustritt, bleibt sie in dieser Familiengeschichte doch meist im Hintergrund. Das Interesse konzentriert sich auf die anderen Clan-Mitglieder und deren Machismen. In dieser Hinsicht sind die Cutlers also viel normaler als behauptet.
 
Marcus Wessel