Das Haus am Meer

Zum Vergrößern klicken

Mit „Das Haus am Meer“ legt der Drehbuchautor und Regisseur Robert Guédiguian („Café Olympique“) ein mit Bedacht inszeniertes Familiendrama vor, das viel zwischenmenschliche Spannung aufbaut und mit einer sehr späten Wende erstaunt. Das stille Drama lief 2017 als Abschlussfilm der Viennale und 2018 bei den Französischen Filmtagen in Bonn.

Webseite: www.dashausammeer-derfilm.de

OT: La villa
Frankreich 2017
Regie: Robert Guédiguian
Drehbuch: Robert Guédiguian, Serge Valletti
Darsteller/innen: Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Gérard Meylan, Jaques Boudet, Anaïs Demoustier, Robinson Stévenin, Yann Trégouët
Laufzeit: 107 Min.
Verleih: Film Kino Text
Kinostart: 21. März 2019

FILMKRITIK:

Ein Schlaganfall ihres Vaters bringt die drei Kinder des Manns in dessen Villa in einem Küstenort bei Marseille zusammen: die in Paris lebende Theaterschauspielerin Angèle (Ariane Ascaride), den frisch entlassenen Professor Joseph (Jean-Pierre Darroussin) und Armand (Gérard Meylan), der seit einer Weile das väterliche Fischrestaurant weiterbetreibt.
 
Die erzwungene Familienzusammenkunft wühlt Vergangenes auf. Während der irreversibel geschädigte Vater den ganzen Film über komatös im Bett liegt oder auf der Terrasse sitzt, geraten die Schwingungen um ihn herum in Bewegung. Der mit dem Älterwerden hadernde Joseph streitet mit seiner mitgebrachten, viel jüngeren Geliebten Bérangère (Anaïs Demoustier), die ihn nicht länger bemitleiden will. Der ruhige Armand fühlt sich mit der Verantwortung für den Vater alleingelassen. Und Angèle hat den Heimatort seit zwanzig Jahren nicht besucht, seit ihre kleine Tochter Blanche im Meer vor der Villa ertrank.
 
Der Fokus liegt auf Angèle, die Armand und ihrem Vater mindestens eine Teilschuld an dem Unfall ihrer Tochter gibt und von den Geschwistern am intensivsten mit ihren Emotionen ringt. Etwas Zerstreuung verschaffen ihr die stürmischen Avancen des jungen Fischers Benjamin (Robinson Stévenin) - bis das Drama eine unerwartete Wende nimmt.
 
Das Meer ist in beinahe jeder Szene präsent, meistens direkt im Bild, manchmal nur auf der Tonspur. Das Wasser steht symbolisch für die Tochter, die darin umkam, und für die geteilte Vergangenheit der Geschwister, die in kurzen, atmosphärisch umgesetzten Rückblenden aufflackert. Still und leise nähern sich die Geschwister wieder einander an, während die regelmäßig über eine Eisenbahnbrücke vorbeifahrenden Züge stets die Möglichkeit einer vorzeitigen Abreise offenhalten.
 
„Das Haus am Meer“ entwickelt sich in meist unbewegten Einstellungen, kommt mal leichtfüßig und humorvoll, dann nachdenklich und dramatisch daher. Zwischendurch droht die Handlung abzuflachen, etwa bei einem halbgaren Nebenplot um ein altes Ehepaar, das seine jahrelang bewohnte Wohnung räumen soll, aber keine Hilfe vom wohlhabenden Sohn annehmen will.
 
Im Schlussteil vollführen Robert Guédiguian und sein Co-Autor Serge Valletti eine ungewöhnlich späte Wendung ins Zeitpolitische, als Armand und Joseph drei gestrandete Flüchtlingskinder im Wald entdecken und vorübergehend in der Villa aufnehmen. Die als Spiegelung der Geschwister angelegten Kinder wirken wie Echos aus der Vergangenheit und verleihen dem Plot einen neuen Impuls, der dem Film an dieser Stelle guttut. Wo zuvor erzählerischer Stillstand drohte, baut Guédiguian mit dem Auftauchen der Kinder unverhofft Spannung auf und bereitet ein wunderbar passendes Schlussbild vor, das beide Handlungsstränge harmonisch zusammenführt.
 
Christian Horn