Das Vorspiel

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Nach einigen Jahren filmischer Abwesenheit war Nina Hoss beim Filmfest Hamburg gleich in zwei Filmen zu sehen, beides Male als Mutter, die an ihrem Ehrgeiz und einer gewissen Selbstüberschätzung zu scheitern droht. In Ina Weisses „Das Vorspiel“ spielt Hoss mit großer Eindringlichkeit eine Musiklehrerin, die mit ihrer Art zwei Jugendliche bedrängt.

Webseite: port-prince.de

Deutschland 2019
Regie: Ina Weisse
Buch: Ina Weisse & Daphne Charizani
Darsteller: Nina Hoss, Simon Abkarian, Jens Albinus, Ilja Monti, Serafin Mishiev, Sophie Rois, Winnie Böwe. William Coleman
Länge: 90 Minuten
Verleih: Port au Prince
Kinostart: 23. Januar 2020

FILMKRITIK:

Mit einer eigenen musikalischen Karriere hat es für die Violinistin Anna (Nina Hoss) nicht gereicht: Im entscheidenden Moment waren die Nerven zu groß, das Spiel misslang, die Chance vertan. Doch inzwischen hat sie sich eine in jederlei Hinsicht funktionierende, bürgerliche Existenz aufgebaut. Ihren Mann Philippe (Simon Abkarian) – der im eigenen kleinen Geschäft Musikinstrumente restauriert – liebt sie über alles, der gemeinsame Sohn Jonas (Serafin Mishiev) ist leidlich wohl geraten, spielt sowohl Eishockey als auch Geige und zeigt kaum Anzeichen der Pubertät. Und auch an der Musikschule, an der Anna unterrichtet ist sie beliebt, besonders beim Cellisten Christian (Jens Albinus), mit dem sie eine Affäre hat.
 
Mit Alexander (Ilja Monti) bekommt Anna einen neuen Schüler, ein junges Talent, wie vor allem sie, im Gegensatz zu vielen Kollegen findet. Voller Elan beginnt sie mit dem Unterricht, versucht Alexander zu formen, ihn zu dem zu machen, was sie nie war. Immer intensiver, immer exzessiver wird der Unterricht, was bald vielfältige Konsequenzen nach sich zieht: Zwar beginnt Anna wieder selbst zu spielen und lässt sich von Christian sogar dazu überreden, in einem Streichquintett mitzuspielen, doch ihr Verhältnis zu Philippe wird zunehmend gespannt. Vor allem jedoch fühlt sich Jonas zunehmend vernachlässigt, denn seine Mutter sieht in Christian das, was Jonas nicht sein kann oder will.
 
Filme über die obsessive Besessenheit mit einem Musikinstrument scheinen im deutschen Kino gerade in Mode zu sein: Vor einigen Wochen erzählte Sabrina Sarabi in „Prélude“ von einem jungen Klavierschüler, der an seinem Ehrgeiz zu Grunde geht, demnächst zeigt Jan-Ole Gerster in „Lara“ eine überehrgeizige Mutter, die durch ihre Art all ihre sozialen Kontakte, vor allem die zu ihrem höchst talentierten Sohn verloren hat. Jene von Corinna Harfouch gespielte Mutter, könnte man sich als zehn, fünfzehn Jahre ältere Version von der von Nina Hoss gespielten Anna vorstellen: Eine Frau, die selbst Talent hatte, diesem aber nie gerecht wurde und nun versucht, durch ihren Sohn ihr eigenes Versäumnis – das vor allem sie selbst als Versagen betrachtet – wieder gutzumachen.
 
Dabei funktioniert das Verhältnis zwischen Anna und ihrem Sohn Jonas weniger direkt als indirekt: Erst als Anna mit Christian eine Art Ersatzsohn zur Verfügung hat, als scheinbar formbare Masse, sieht sie den wenig ehrgeizigen Umgang ihres leiblichen Sohnes mit ganzer Klarheit. In der Musikschule wird er nicht von Anna selbst, sondern von einer Kollegin unterrichtet, eine Situation, die Anna dazu nötigt, sich in einem Maße aus der musikalischen Erziehung ihres Sohnes raus zu halten, was ihr zunehmend schwer fällt.
 
Viele Bälle wirft Ina Weisse im Nachfolger ihres Debüts „Der Architekt“ in die Luft, zudem sie zusammen mit Daphne Charizani auch das Drehbuch geschrieben hat. Durch das Bemühen weniger konkret, als über Andeutungen zu erzählen, bleibt manches Element allzu vage, Annas wenig motivierte Affäre zu ihrem Kollegen etwa. Doch vor allem das zunehmend intensive Spiel von Nina Hoss lässt darüber hinwegsehen: So ausgeglichen und souverän sie ihre Figur zu Beginn noch wirken lässt, so fahrig, unkonzentriert und launisch wird Anna mit dem näher rückenden Vorspiel.
 
Wie die Lebenslügen Annas aufbrechen, ihr unfreiwilliger Verzicht auf eine Karriere als Musikerin, vor allem aber die nie eingestandene Hoffnung, dass ihr Sohn nun diese Rolle einnimmt, inszeniert Ina Weisse als intensives Drama, an dessen Ende sie sogar ein Maß an Ambivalenz wagt, wie es im deutschen Kino selten ist.
 
Michael Meyns