Die Einzelteile der Liebe

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Langfilm-Debütantin Miriam Bliese widmet sich in ihrer Tragikomödie „Einzelteile der Liebe“ den unterschiedlichen Stadien einer Beziehung: vom Kennenlernen über das Zusammenleben bis hin zum Auseinanderdriften und der Trennung. Mit feinem Gespür, aufmerksamem Blick und einer gekonnten Mischung aus Witz und Tragik taucht der elliptisch erzählte Film in die bürgerliche Welt der handelnden Personen ein. Mittdreißiger, die zwischen Alltagsstress, familiären Pflichten und dem Drang nach Freiheit aufgerieben werden.

Webseite: arsenalfilm.de

Deutschland 2019
Regie & Drehbuch: Miriam Bliese
Darsteller: Birte Schöik, Ole Lagerpusch, Justus Fischer, Falk Rockstroh
Länge: 97 Minuten
Kinostart: 22.08.2019
Verleih: Arsenal

FILMKRITIK:

Für Sophie (Birte Schöik) könnte die Situation nicht schwieriger sein, als sie Georg (Ole Lagerpusch) über den Weg läuft: Sie ist hochschwanger und wurde gerade vom Vater ihres ungeborenen Kindes verlassen. Doch Georg erweist sich als rücksichts- und verständnisvoll. Es dauert nicht lange bis sie sich ineinander verlieben und – nach der Geburt von Jakob – zu einer glücklichen Familie heranwachsen. Doch mit der Zeit kommen auf die Drei die Herausforderungen des Zusammenlebens zu. Sophie und Georg leben sechs Jahre lang mehr oder minder glücklich zusammen, bis sie sich schließlich trennen. An die Stelle von Liebe und Zuneigung treten Meinungsverschiedenheiten und Streit. Denn fortan dreht sich alles um die Frage, wer das Sorgerecht für Jakob bekommt. Unterdessen versucht Sophies neuer Lebensgefährte, zwischen ihr und Georg zu vermitteln.

Mit „Einzelteile der Liebe“ beendete Miriam Bliese ihr Regie-Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Sie führte Regie, schrieb das Drehbuch und co-produzierte ihre im Berliner Bezirk Tiergarten gedrehte Dramödie. Zuvor hatte sie bereits einige Kurzfilme gedreht, die auf internationalen Festivals gezeigt wurden. Darunter „An der Tür“, für den sie 2014 den Short Tiger Kurzfilmpreis gewann.

Die gebürtige West-Berlinerin Bliese wählt eine den Sehgewohnheiten des Betrachters zuwiderlaufende, nicht chronologische Erzählweise und unkonventionelle Handlungsstruktur – die sich jedoch als ungemein erfrischend und förderlich erweisen. Denn sie pickt sich durch ihre teils über viele Jahre erstreckenden Zeitsprünge wesentliche Ereignisse und typische Charakteristika aller Beziehungsphasen heraus, die sie mit Humor, Ehrlichkeit und feiner Beobachtungsgabe unter die Lupe nimmt.

Sie ist bei der ersten, ziemlich chaotisch aber durchweg sympathisch verlaufenden Begegnung von Sophie und Georg dabei und während der ersten Zeit des harmonischen Zusammenlebens. Aber genauso zeigt sie den sich langsam aber unaufhörlich einschleichenden Alltag und die Routine, die zu (sexuellem) Frust und Unzufriedenheit führen. Zudem stellt sie immer wieder die Frage danach, wie man den richtigen Weg und eine ausgewogene  Balance zwischen beruflicher Verwirklichung und elterlichen Verpflichtungen findet.

Wer kann sich seiner Karriere widmen und wer muss sich ums Kind kümmern? Wie viel Freiraum ist neben der Familie erlaubt? Und wie schafft man es, sich auch nach jahrelangem Zusammenleben auf engstem Raum die Leidenschaft zu bewahren? Diesen und ähnlichen Fragen, die die Lebenswirklichkeit vieler heutiger Mittdreißiger bestimmen, spürt Bliese in ihrem zu weiten Teilen lediglich an zwei Handlungsorten angesiedelten Film (dem Hauseingang und dem Wohnviertel) mit Bedacht sowie Akkuratesse nach.

Und sie hat das Glück über Darsteller zu verfügen, die durch ihre lebensnahe, geerdete Darbietung ein hohes Maß an Identifikationspotenzial bieten. So fällt es leicht sich in Georg hineinzuversetzen, wenn er sich darüber ärgert, dass Sophie wieder einmal ihre leeren Joghurtbecher überall stehenlässt. Andererseits aber bringt man vollstes Verständnis für Sophie auf, wenn sie das Fehlen jeglicher Intimitäten und körperlicher Nähe beklagt. Dinge, die im Laufe der Zeit fast völlig abhandengekommen sind – die allerdings gegen Ende doch wieder aufflammen, wodurch Bliese ihren Figuren, ebenso wie dem Zuschauer, Hoffnung und Zuversicht mit auf den Weg gibt. Auch wenn die Umstände jetzt komplizierter geworden sind.

Björn Schneider