Die Erfindung der Wahrheit (Miss Sloane)

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Im Jahr 2015 stand das Skript des Debütautors Jonathan Perera auf Hollywoods Blacklist der besten unverfilmten Drehbücher des Jahres – und wie für zig andere Skripts, die dort auftauchten, bedeutete die Nennung auch für „Die Erfindung der Wahrheit (Miss Sloane)“ das Ticket auf die Kinoleinwand. Die Regie übernahm der „Shakespeare in Love“-Macher John Madden, für die Hauptrolle einer politischen Lobbyistin in Washington wurde Jessica Chastain („A Most Violent Year“) verpflichtet. Vor allem dank ihr funktioniert das dialogreiche Politthrillerdrama über weite Strecken sehr gut. Thematisch ist der Film, dessen US-Kinostart zufällig mit der Trump-Wahl zusammenfiel, absolut prädestiniert, eine Debatte über das US-Waffenrecht und den Zustand der Demokratie im Allgemeinen anzuregen.

Webseite: www.universumfilm.de

OT: Miss Sloane
Frankreich, USA 2016
Regie: John Madden
Darsteller: Jessica Chastain, Mark Strong, Gugu Mbatha-Raw, John Lithgow, Alison Pill, Michael Stuhlbarg, Jake Lacy, Douglas Smith, Sam Waterston
Laufzeit: 132 Min.
Verleih: Universum Film
Kinostart: 6. Juli 2017

FILMKRITIK:

Washington DC: Die knallharte Lobbyistin Elizabeth Sloane (Jessica Chastain) arbeitet für eine angesehene Kanzlei. Als ihr Chef Dupont (Sam Waterson) ihr das Angebot unterbreitet, gegen ein strengeres Waffengesetz zu opponieren, wechselt die Karrierefrau kurzerhand die Seite. Mit vier Mitgliedern ihres Teams (Al Mukadam, Douglas Smith, Greta Onieogou, Noah Robbins) heuert sie in der kleinen Firma des Idealisten Rodolfo Schmidt (Mark Strong) an und setzt fortan alles daran, das neue Gesetz im Senat durchzubringen. Für die Kampagne gegen ihre Ex-Kollegen nutzt Sloane fragwürdige Methoden wir illegale Bespitzelungen, was ihr einen Untersuchungsausschuss unter Senator Sperling (John Lithgow) einbringt.
 
Vom Erzählrhythmus her erinnert „Miss Sloane“ an den unterschätzten Doping-Thriller „The Program“ von Stephen Frears, zudem orientiert sich John Madden an klassischen Vertretern des 70er-Jahre-Politkinos, allen voran „Die Unbestechlichen“ („All The President's Men“) von Alan J. Pakula. Elizabeth Sloane trifft zwielichtige Informanten auf dunklen Parkplätzen und der Wind der Paranoia durchweht den Plot. Das sind gute Ansätze, die leider in ein unbefriedigendes, fast schon kindisches Finale münden.
 
Im Fokus steht die von Jessica Chastain gespielte Titelfigur, eine ethisch bedenkenswerte Antiheldin. Sloane geht es ums Gewinnen, und dieses Ziel verfolgt die kühle Strategin mit eisernem Willen. Mit teuren Kostümen, knallroten Lippen, reichlich Wimperntusche, täglichem Fast Food, Aufputschmitteln und anonymem Hotezimmersex bedient Sloane viele Klischees rund um moderne Geschäftsfrauen. Es ist Chastain zu verdanken, dass Sloane dennoch keine leere Hülle bleibt.
 
Ähnlich wie in „Zero Dark Thirty“ oder „Interstellar“ stattet Chastain den starrköpfigen Part mit vielen Nuancen aus, die ein faszinierendes Charakterbild entwerfen. Man reibt sich als Zuschauer an der Frau, wenn sie zum Beispiel ein traumatisiertes Schusswaffenopfer ohne nachzufragen für ihre Kampagne instrumentalisiert. Warum Sloane ihren „guten“ Ruf und ihre Karriere riskiert, um einen auf dem Papier aussichtslosen Kampf gegen die Waffenlobby zu führen, bleibt lang unklar. Sie agiert jedenfalls nicht aus so naiv-edlen Motiven heraus wie Julia Roberts in „Erin Brockovich“ – das steht ihr von der ersten Szene an ins Gesicht geschrieben.
 
Die zahlreichen Dialoge sind schnell gesprochen und punktgenau geschrieben. John Madden inszeniert dazu schnörkellose, mit einem investigativen Thriller-Soundtrack unterlegte, farblich kühle Bilder und viele Close-ups. Die Machart ist modern, der Inhalt ebenfalls. Die besondere Rolle Sloanes als Frau auf dem politischen Parkett thematisieren Madden und Autor Jonathan Perera nebenbei, etwa dadurch, dass Sloanes Team multiethnisch durchmischt ist und gegen eine (ja: alte und weiße) Männerclique antritt. Der beste Grund, „Miss Sloane“ anzuschauen, bleibt aber Jessica Chastain, eine der einnehmendsten Schauspielerinnen unserer Zeit.
 
Christian Horn