Die Schatten der Wüste

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Ein Foto von Baskaran im offenen Sarg – mehr ist der Witwe Sundari nicht von ihrem Mann geblieben. Er verließ seine Heimat einst als Wanderarbeiter in Richtung Dubai. Auf einer Baustelle schuftete er wie viele seiner Landsleute für ein mickriges Gehalt und unter katastrophalen Bedingungen. Wieso musste der zweifache Familienvater sterben? Was sind die Hintergründe seines Todes? „Die Schatten der Wüste“ geht diesen Fragen nach, löst Baskaran aus der anonymen Masse indischer Gastarbeiter heraus und gibt dem Schicksal dieser Männer damit ein Gesicht.

Webseite: https://shadows-of-the-desert.com

Deutschland, Indien 2018
Regie & Drehbuch: Franziska Schönenberger, Jayakrishnan Subramanian
Länge: 86 Minuten
Kinostart: 10. Januar 2019
Verleih: as2edition

FILMKRITIK:

Zehntausende indische Wanderarbeiter kehren jedes Jahr ihrer Heimat den Rücken. Ihre Hoffnung: im Ausland einen gut bezahlten Job zu finden, der die Familie ernährt. Oft verschlägt es die Männer in arabische Länder, etwa Kuwait oder die Vereinigten Arabischen Emirate. So wie Baskaran, der in Dubai arbeitete und seiner Familie eigentlich bereits versprochen hatte, nach Hause zurückzukehren. Daraufhin hörten seine Frau Sundari und seine beiden Kinder jedoch lange nichts mehr von ihm, bis sie die schockierende Nachricht von seinem Tod erhielten. Die Behörden gehen von Suizid aus, Sundari hält dies allerdings für absolut unmöglich. Sundaris Cousin, der Künstler Jayakrishnan Subramanian, begibt sich mit der deutschen Autorin und Regisseurin Franziska Schönenberger auf Spurensuche.

Subramanian und Schönenberger reisten für ihre Dokumentation unter anderem in die indische Provinz Tamil Nadu, Baskarans Heimat. Subramanian selbst stammt aus der südindischen Hafenstadt Cuddalore. Der 40-Jährige arbeitet in erster Linie als Grafikdesigner und Animationskünstler. Schönenberger feierte ihr Langfilm-Debüt 2013 mit „Amma und Appa“, der unter anderem auf der Berlinale und dem Münchener Dok-Fest gezeigt wurde. Ihre Ausbildung absolvierte sie zuvor an der Hochschule für Film und Fernsehen in München.

Subramanian und Schönenberger beginnen ihre Recherche nach Hinweisen  im direkten und nächsten Umfeld des Inders. Sie befragen Baskarans Kinder, Frau, Freunde und Verwandte und erhalten vielfältige Informationen über das Wesen und den Charakter des Verstorbenen. Die Interviewten zeichnen das Bild eines verantwortungsvollen Vaters und Ehemanns, der seiner Familie unbedingt ein besseres Leben ermöglichen wollte und deshalb Indien verließ. Nicht vorstellbar, dass er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt habe, wie es ein Freund in einer Szene formuliert. Für Subramanian und Schönenberger Grund genug, Baskarans Weg weiter bis nach Dubai nachzuverfolgen.

Den beiden Regisseuren dabei zuzusehen, wie sie jedem noch so bedeutungslos erscheinenden Hinweis nachgehen und das Rätsel um Baskarans Tod zu lösen zu versuchen, ist spannend wie ein Krimi. Nur dass es sich hier nicht um Fiktion sondern das wahre Leben handelt. Nach der Ankunft von Subramanian und Schönenberger in den Vereinigten Arabischen Emiraten, lösen sich die Beiden von der tragischen Geschichte um Baskarans mysteriöse Geschichte ein Stück weit. Sie weiten ihren Blick und richten ihren Fokus fortan ganz allgemein auf die Schicksale und Lebensumstände indischer Leiharbeiter in dem Golfstaat. Und dieses Leben ist hart und entbehrungsreich. Angelockt werden sie zumeist von zwielichtigen Unternehmen, die ihnen ein üppiges Gehalt versprechen.

Die Realität sieht jedoch anders aus: Sie werden ausgebeutet und mit einem Mini-Lohn abgespeist, illegal arbeitenden Migranten droht zudem jederzeit die Inhaftierung. Subramanian und Schönenberger dokumentieren mit versteckter Kamera die erbärmlichen Zustände und die mangelhafte Hygiene im Inneren eines Arbeitercamps. Ein Arbeiter zeigt ihnen ein spärlich ausgestattetes, wenige Quadrate großes Zimmer, das sich vier Inder teilen müssen. Gut möglich, dass auch Baskaran ein solches Schicksal widerfuhr. Der Besuch im Camp macht fassungslos – ebenso wie die schockierenden Berichte der Männer über die Häufigkeit von Selbstmorden unter den Arbeitern. „Die Schatten der Wüste“ zeigt ihr Leid ohne falsche Sentimentalitäten und wird so zu einem aufklärerischen filmischen Dokument, ebenso erschütternd wie unverzichtbar.

Björn Schneider