Die Tochter

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Schon der Titel von Mascha Schilinskis Abschlussfilm „Die Tochter“ deutet an, wer in der Familie im Mittelpunkt steht: Die siebenjährige Luca, die sich nach der Trennung ihrer Eltern dem Vater angenähert hat. Was nun passiert, als sich die Eltern doch wieder näher kommen beobachtet Schilinski mit oft quälender Genauigkeit.

Webseite: http://dietochter-film.de

Deutschland 2017
Regie & Buch: Mascha Schilinski
Darsteller: Helena Zengel, Karsten Antonio Mielke, Artemis Chalkidou
Länge: 103 Minuten
Verleih: missingFILMs
Kinostart: 17. Mai 2018
 

FILMKRITIK:

Vor zwei Jahren haben sich Jimmy (Karsten Antonio Mielke) und Hannah (Artemis Chalkidou) nach einem Urlaub in ihrem Ferienhaus auf einer griechischen Insel getrennt. Inzwischen ist ihre gemeinsame Tochter Luca (Helena Zengel) sieben Jahre alt und steht meist im Mittelpunkt der nur noch halben Familie, die dennoch viel Zeit miteinander verbringt. Vor allem Luca wegen natürlich, aber auch, weil sich die Eltern noch mögen, auch wenn beide immer wieder neue Liebschaften haben.
Doch die Dynamik der Beziehungen wird schnell deutlich: Luca steht stets im Mittelpunkt bzw. versucht diese Position einzunehmen. Und wenn gerade ihre Mutter ihr einmal nicht die geforderte Aufmerksamkeit schenkt, dann wird sie schnell quengelig und beginnt, die Eltern gegeneinander auszuspielen.

Doch nun scheint sich eine größere Veränderung anzubahnen, dass Haus in Griechenland soll verkauft werden, ein letztes Mal fährt das Trio auf die Insel, ein Abschied soll es werden, doch es kommt anderes. Jimmy und Hannah nähern sich über den Reparaturarbeiten, den Erinnerungen an vergangene Zeiten wieder an und werden wieder ein Liebespaar. Sehr zum Missfallen von Luca, die sich plötzlich an den Rand gedrängt fühlt und nun alles daran setzt, ihre Position zurückzugewinnen.
Eine erstaunliche Schauspielerin beherrscht Mascha Schilinski Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, doch es ist nicht etwa eine der erwachsenen Akteure, sondern die achtjährige Helene Zengel, die am meisten überzeugt. Fast komplett aus der Perspektive Lucas ist „Die Tochter“ erzählt, aus der Sicht einer ziemlich typisch wirkenden siebenjährigen, die stets im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen will.

Zu jung ist Luca, als das die potentiell inzestuöse Dimension der Konstellation voll ausgespielt werden könnte, doch unweigerlich denkt man an Ödipus, an Eifersucht, an eine psychologisch aufgeladene Dreiecksbeziehung. Geschickt lässt Schilinski ihre drei Figuren immer wieder aufeinanderprallen, beobachtet in genauen Bildern, wie sich die Dynamik der Beziehung ändert, wie sich die Eltern mal zum Spielball von Lucas Willen machen lassen, dann wieder ihre Tochter geradezu vernachlässigen und ihre eigenen Emotionen und Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen.

Die Dichte und Komplexität dieser Beobachtungen ist die große Stärke eines Abschlussfilms, bei dem man sich gewünscht hätte, dass dem ungewöhnlichen Ansatz auch eine ungewöhnliche Erzählweise gefolgt wäre. Das Potential für einen Psycho-Thriller hat die Geschichte, für eine extreme, auch überzeichnete Darstellung eines fordernden Kindes, mit dem moderne Patchwork-Familienverhältnisse seziert werden. Das es am Ende „nur“ ein zwar dichtes, aber doch auch sehr kontrolliertes, sehr deutsches Drama geworden ist, mag man angesichts dessen umso mehr bedauern.

Michael Meyns