Donbass

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Als Eröffnungsfilm der Cannes-Nebenreihe Un Certain Regard lief Sergei Loznitsas „Donbass“ am 9. Mai, also dem Tag, der in Russland als Tag des Sieges gefeiert wird. Zufall oder nicht, eine passende Programmierung für einen schonungslosen, manchmal auch zynischen Blick auf den Krieg in der Ostukraine, in den Russland mehr oder weniger offen involviert ist, der aber ganz sicher nie mit einem Tag des Sieges gefeiert werden wird.

Webseite: www.salzgeber.de

Ukraine/Deutschland/Frankreich/Niederlande/Rumänien 2018
Regie & Buch: Sergei Loznitsa
Darsteller: Tamara Yatsenko, Ludmila Smorodina, Olesya Zhurakovskaya, Boris Kamorzin, Sergei Russkin
Länge: 121 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: Herbst 2018

FILMKRITIK:

Zwischen 2014 und 2017 existierte im Osten der Ukraine ein von niemandem anerkannter Staat: Neurussland nannte sich das Gebilde, das von Separatisten ins Leben gerufen wurde, die sich gegen den gewählten Präsidenten stellten. Dass diese Soldaten von Russland unterstützt wurden, ist kein Geheimnis, doch wie weit der Einfluss von Putins Regierung wirklich ging, ist kaum klar zu beantworten, nicht zuletzt deswegen, weil die Ostukraine für unabhängige Berichterstatter kaum zugänglich ist.

In dieser Region, die historisch als Donbass bezeichnet wird (abgeleitet von Fluss Donez und dem Donezbecken), spielt der vierte Spielfilm des seit langem in Deutschland lebenden, aus der Ukraine stammenden Regisseur Sergei Loznitsa. Aus 13 Episoden, die sich in den letzten Jahren im Donbass zugetragen haben, besteht der Spielfilm, der sich dadurch mehr als die früheren Spielfilme Loznitsas auf der Grenze zwischen dokumentarischem und fiktivem bewegt.

Zwar filmt Loznitsa erneut vor allem in langen Plansequenzen (die Kamera führte erneut der große rumänische Kameramann Oleg Mutu, der etliche der wichtigsten Filme des neuen rumänischen Kinos fotografierte), doch stilistisch driften die Episoden auseinander. Manche, etwa der beinahe Lynchmord an einem ukrainischen Soldaten, der beschuldigt wird, freiwillig bei einem Erschießungskommando mitgewirkt zu haben, und an einen Laternenmast gebunden, der Wut der russischen Bevölkerung ausgeliefert wird, mutet vollständig dokumentarisch an, andere Sequenzen wirken dagegen wie burleskes Theater. Etwa wenn eine Frau in eine Redaktionskonferenz platzt und den Chefredakteur aus Ärger über einen Artikel mit Scheiße überschüttet oder eine Hochzeitsfeier in grotesk anmutende Exzesse ausartet.

Die Vielzahl der Episoden, Figuren und Schauplätze lässt „Donbass“ dabei zerfahrener wirken als etwa der gerade erst im Kino laufende „Die Sanfte“, in dem sich Loznitsa auf das Schicksal einer Frau konzentrierte. Hier dagegen springt er von Episode zu Episode, die nur lose verbunden sind, als Ganzes jedoch ein veritables Bild des Grauens abliefern. Es mag zwar zur osteuropäisches Erzähltradition gehören, bisweilen dick aufzutragen, exaltiert zu agieren, mit dem Grotesken zu flirten. In seiner offensichtlichen Wut über die Zustände in einem Teil seiner Heimat droht Loznitsa immer wieder ins zynische abzudriften, gesteht den Menschen des Donbass kaum einen Moment des Humanismus zu.

Und das, obwohl ihm natürlich die Komplexität, das kaum zu durchschauende der Situation bewusst ist: Gleich die erste Szene zeigt eine Maskenbildnerin, die eine Laiendarstellerin für eine Filmszene schminkt, in der ein Angriff auf einen Bus nachgestellt wird. Immer wieder wird Loznitsa im Folgenden mit kleinen, selbstreflexiven Momenten den Filmapparat andeuten, lässt mal einen Kameramann im Bild erscheinen, mal Figuren sich selbst mit Handys filmen. Sehen wir einen Krieg? Oder einen Film? Einen Film über Krieg? Oder einen Krieg nach Drehbuch? Scheint Loznitsa zu fragen und damit anzudeuten, dass dieser meist so verwirrend und undurchschaubar wirkende Konflikt vielleicht gar nicht so konfus abläuft, dass vielleicht vielmehr nach einem zumindest losen Drehbuch geplant wird, Unruhe und Chaos in der Region zu stiften. Welche Ziele damit verbunden sein mögen, lässt Loznitsa offen, er beschreibt in „Donbass“ eine Welt des Chaos, die durch den Krieg in Korruption und Anarchie abzudriften droht. Auch wenn für den nicht mit den Begebenheiten vertrauten Zuschauer manches Detail unverständlich bleibt: „Donbass“ ist wuchtiges, manchmal auch exzessives Kino, dass zwar manchmal über das Ziel hinausschießt, gerade dadurch aber auch so bewegt.

Michael Meyns