Draussen in meinem Kopf

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Biographisch ist dieser Film nicht, auch wenn der seit seinem Unfall bei Wetten, dass..? querschnittsgelähmte Samuel Koch in Eibe Maleen Krebs Kammerspiel „Draussen in meinem Kopf“ die Rolle eines Mannes spielt, der vom Kopf abwärts gelähmt ist. Bald hat man solche Bezüge jedoch vergessen und ist beeindruckt von Kochs Spiel, der zwar nur seine Mimik zur Verfügung hat, den Mut und die Verzweiflung seiner Figur aber eindrucksvoll darstellt.

Webseite: www.in-meinem-kopf.de

Deutschland 2018
Regie: Eibe Maleen Krebs
Buch: Eibe Maleen Krebs & Andreas Keck
Darsteller: Samuel Koch, Nils Hohenhövel, Eva Nürnberg, Lars Rudolph, Mario Fuchs, Harald Schwaiger
Länge: 99 Minuten
Verleih: Edition Salzgeber
Kinostart: 26. April 2018

FILMKRITIK:

Sven (Samuel Koch) leidet an Muskeldystrophie, einer Erbkrankheit, die seine Muskeln zunehmend zersetzt und ihn seit langem ans Bett fesselt. In einem Pflegeheim lebt er und ist selbst für die kleinsten Tätigkeiten auf Hilfe angewiesen. Allein mit seinem Mund kann er einen Computer steuern, doch schon, wenn er auf seiner Musikanlage seine geliebte klassische Musik hören will, muss er seine Pfleger um Hilfe bitten.
 
Sein neuer Helfer heißt Christoph (Nils Hohenhövel) und beginnt gerade sein Freiwilliges Soziales Jahr. Voller Enthusiasmus geht Christoph ans Werk, ist jedoch schnell verstört von der Hilfslosigkeit Svens, vielleicht auch von dessen oft barscher, befehlender Art. Das ist zumindest ein Teil von Svens Persönlichkeit, der zwar behauptet, keine Hilfe nötig zu haben, sich bald jedoch als sensibler Mensch erweist, der zwar mit seiner Krankheit leben gelernt hat, jedoch zunehmend auch an ihr verzweifelt. Und damit am Sinn, zu leben, so dass er bald austestet, wie sehr ihm Christoph gehorcht, wie folgsam dieser seinen Anweisungen folgt, ob er ihn um einen letzten, einen finalen Gefallen bitten kann.
 
Kaum möglich, Eibe Maleen Krebs Debütfilm „Draussen in meinem Kopf“ zu sehen, ohne über die Besetzung Samuel Kochs zu stutzen, jenem Mann, der 2010 traurige Berühmtheit erlangte, als er sich bei einer waghalsigen Aktion im Rahmen von Wetten, dass..? so schwer verletzte, dass er seitdem querschnittsgelähmt ist. Dennoch setzte Koch im Anschluss seine Schauspielausbildung fort und ist seit einigen Jahren tatsächlich Ensemblemitglied beim Stadttheater Darmstadt. Was oberflächlich betrachtet wie eine Publicity-Aktion wirkt, erweist sich beim lesen von Kritiken als Entscheidung, die in erster Linie den schauspielerischen, vor allem mimischen Fähigkeiten Kochs geschuldet zu sein scheint.
 
Eine Einschätzung, die sich in dieser ersten Filmhauptrolle Kochs bestätigt. In jeder Szene steht Koch im Mittelpunkt, erst in der letzten Szene verlässt der Film sein kleines Zimmer, in dem seine Figur schon seit Jahren lebt, in dem er ans Bett gefesselt ist, rund um die Uhr von Ärzten und Pflegern betreut wird, aus dem es keinen Ausweg gibt. Und doch wirkt dieser Sven nicht wie eine traurige Gestalt, sondern wie ein selbstbestimmter Mensch, der mit Autorität, die anfangs oft arrogant wirkt Befehle erteilt, seinen neuen FSJler Christoph herumscheucht und sich nicht in sein Schicksal fügt.
 
Nur langsam öffnet sich Sven, offenbart Schwächen, zeigt seine sensible, verletzliche, ja auch verzweifelte Seite, die ihn zunehmend fragen lässt, ob ein Leben in seinem Zustand lebenswert ist. Eine Frage ist dies, die nur Sven selbst beantworten kann, denn so viel Mitgefühl seine Mitmenschen auch aufbringen: Sich in seine Lage zu versetzen ist unmöglich.
 
Um den Umgang mit Schwerstbehinderten geht es hier also, aber auch um Sterbehilfe, um die Frage, ob ein selbstbestimmtes Leben auch das Recht beinhaltet, über den Zeitpunkt des eigenen Todes zu entscheiden. Mit bemerkenswerter Souveränität diskutiert Eibe Maleen Krebs diese Fragen, driftet nie in Kitsch oder Sentimentalität ab und hat mit Samuel Koch einen erstaunlichen Menschen als Hauptdarsteller gefunden, der nicht wegen seiner persönlichen Historie beeindruckt, sondern wegen seiner schauspielerischen Fähigkeiten.
 
Michael Meyns