Driving Europe

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Ein umgebauter Van, 28 Länder, 30 000 Kilometer. Drei Studenten aus Hamburg wagen im Herbst 2018 das Abenteuer ihres Lebens, das ganz unmittelbar mit einer ehrgeizigen politischen Mission verbunden ist: Sie wollen mit Menschen aus allen Ländern Europas über Politik, persönliche Ängste, Hoffnungen und die Ideen für ein besseres Zusammenleben innerhalb der EU sprechen. Herausgekommen ist eine beachtenswerte, lebendige Interview-Collage, die Aufschluss über die Befindlichkeiten der Europäer gibt.

Webseite: www.driving-europe.de

Deutschland 2019
Regie: Ina Bierfreund, Tim Noetzel, Felix Hartge
Länge: 94 Minuten
 

FILMKRITIK:

Im September letzten Jahres starteten Ina Bierfreund, Tim Noetzel und Felix Hartge das Projekt „Driving Europe“, das sie für viele Monate durch alle Länder Europas führte. Ihr Ziel: sich mit den Einheimischen über den Zustand und die Zukunft der Europäischen Union zu unterhalten. Ein politischer Roadtrip einmal quer über den kompletten Kontinent. Am Ende ihres Trips im Mai 2019 hatten die Drei, die unter anderem den wachsenden Populismus zum Anlass der Reise nahmen, 65 Menschen interviewt. Aus dieser Fülle an Gesprächen und Zustandsbeschreibungen entstand die Doku „Driving Europe“.

Bevor Ina, Tim und Felix aufbrachen, bewohnten sie eine Studenten-WG. Dort entstand auch die Idee zum Film. Sie lösten die Wohngemeinschaft auf, kauften sich einen Sprinter (der auf den Namen Oswald getauft wurde) und machten sich auf den Weg. Schon früh wurden die Medien auf das Projekt aufmerksam. So berichteten bereits wenige Monate nach Beginn der Tour etwa das „Hamburger Abendblatt“ oder „Die Zeit“ über die Studenten und ihr Vorhaben. Ab September 2019 startet die Filmtour.
Wie wirkt sich die EU in eurem Leben aus? Was schätzt ihr und was mögt ihr weniger an Europa? Und wie könnte ein EU-Idealbild aussehen? Diese vier Fragen sind es, die Ina, Tim und Felix mit ihren Interviewpartnern ausgiebig erörtern. Sie bilden den inhaltlichen Leitfaden und unterteilen die Doku in vier thematische Kapitel. Aus den vielen Meinungen und Eindrücken kreieren die drei Filmemacher ein facettenreiches, buntes Kaleidoskop der Erfahrungen und Befindlichkeiten der Menschen in den verschiedenen Ländern der Europäischen Union.

Schon früh fällt auf, wie unterschiedlich die Gesprächspartner sind – hinsichtlich des Alters, des sozialen Milieus und der persönlichen Lebensumstände. Zu hören und zu sehen sind Studenten, Angestellte, Selbstständige, Singles, Familienväter und -mütter, Rentner. Von der belgischen Nonne über den nordirischen Farmer und die Winzerin aus Frankreich bis hin zum spanischen Polizisten. Diese Vielfalt ist lobenswert, sorgt „Driving Europe“ auf diese Weise doch ebenso für ein breites, mannigfaltiges Stimmungsbild über jegliche Schichten und – ziemlich viele – Berufsstände hinweg.

Einige der Äußerungen überraschen wenig: Etwa wenn sich einige der Befragten besorgt sowie verärgert über das Brexit-Chaos äußern oder ihren Unmut über die europäische Flüchtlingspolitik mitteilen. Überraschend viele, in erster Linie Menschen mittleren Alters monieren das Bürokratie-Monster EU: all jene Reglmentierungen und Vorschriften also, die den (beruflichen) Alltag doch immer wieder erschweren. Spannend und vielschichtig sind vor allem die Gespräche mit den Bewohnern jener Länder, die als „Sorgenkinder Europas“ gelten.

Eine junge Griechin zum Beispiel berichtet, wie sehr sie sich, im Vergleich mit den reichen westeuropäischen Ländern, abgehängt und benachteiligt fühlt. Und ein Rumäne erklärt, dass die verschiedenen Wirtschaftssysteme der EU schlicht zu unterschiedlich und komplex seien. Darüber hinaus arbeitet der Film auch die vielen positiven, bereichernden Aspekte der EU heraus (u.a. die Reise- und Handelsfreiheit, die Einheitswährung, die Wahrung des Friedens).

Auch wenn es durchweg sympathisch ist, dass die Studenten ganz uneitel sehr wenig von sich und ihrem Reisealltag Preis geben und die Unterhaltungen mit den Menschen ins Zentrum rücken (der Film besteht zu über 80 Prozent aus den Interviews): Man hätte gerne noch mehr von ihrem Alltag in dem zu einer mobilen WG umgebauten Oswald gesehen, dem Leben zu Dritt auf gerade einmal acht Quadratmetern und wie gut (oder schlecht) es sich monatlich von insgesamt 900 Euro leben lässt. Vielleicht wäre das aber ein Thema für einen eigenen Film.

Björn Schneider

Für eine Dokumentation über den Status Quo Europas sind die drei HamburgerInnen Ina Bierfreund, Felix Hartge und Tim Noetzel mit einem Van quer durch sämtliche Länder gereist und haben dabei mit über 60 Menschen über ihre ganz persönlichen Erfahrungen gesprochen.

Mit Anfang zwanzig packten die Hamburgerin Ina Bierfreund sowie ihre beiden Freunde Felix Hartge und Tim Noetzel ihr gesamtes Hab und Gut auf ihren liebevoll „Oswald“ getauften Van und fuhren damit einmal quer durch Europa. 28 verschiedene Länder haben sie dabei bereist und 65 Menschen verschiedener Nationen kennengelernt, um mit ihnen über die Europäische Union zu sprechen. Dabei war es völlig gleichgültig, aus welchen Gesellschaftsschichten, Milieus und Klientel ihre Gesprächspartner kommen; zu diesen gehören neben einem nordirischen Landwirt unter anderem auch eine belgische Nonne oder ein spanischer Polizist. Menschen wie du und ich also, in der Hoffnung, den Zuschauer vor der Leinwand mit den verschiedenen Eindrücken unserer europäischen Nachbarn abzuholen. Weshalb die drei Nordlichter dafür allerdings extra mit dem Van durch Europa fahren mussten, erschließt sich nicht.

In einem Interview mit Zeit Online sprachen die drei Inszenatoren von „Driving Europe“ von Dingen wie „aus der eigenen Blase herauskommen“, wenn sie nach den Beweggründen gefragt werden, wie der Film überhaupt erst zustande gekommen sei. Sie wollten mit möglichst vielen Menschen sprechen, haben dafür sogar an Haustüren geklingelt und auf gut Glück ihre Interviewpartner ausgewählt. Das ist für den Film Fluch und Segen zugleich, denn Leinwandausmaße hat dieser ebenso wenig wie den Charme einer klassischen Reisedokumentation. Lediglich ein Voice-Over verrät dem Zuschauer, wo die drei Nachwuchsfilmemacher auf ihrer Reise durch Europa überall gewesen sind; hin und wieder angereichert von Landschaftsaufnahmen aus der Vogelperspektive, vermutlich mit Drohnen aufgezeichnet. Das Gefühl, tatsächlich mit den Dreien auf Tour zu sein, kommt dagegen nie auf. Der Film besteht zu 90 Prozent aus Interviewaufnahmen. Wenn man es einmal genau nimmt, dann gibt es in der Doku kaum Belege dafür, dass Bierfreund, Hartge und Noetzel tatsächlich dort waren, wo es der Off-Sprecher behauptet. Und geht man noch weiter, so hätte sich das Konzept der Interviewerreportage auch durchsetzen lassen, wenn man nicht selbst mit dem Van durch Europa gefahren wäre – umweltschonender wäre das allemal gewesen. Immerhin hätte man all die in „Driving Europe“ gezeigten Gespräche auch via Skype führen können. An der aufgrund der unterbeleuchteten Settings oft mangelhaften Bildqualität hätte das nicht viel geändert. 

Gleichwohl kamen diese Interviews aber ja überhaupt erst zustande, weil die drei Inszenatoren von „Driving Europe“ vor Ort selbst Akquise betrieben haben. Ein nachvollziehbares Konzept, wen sich die drei da alles vor die Kamera geholt haben, erkennt man nicht. Auch das hat seine Vor- und Nachteile. Was sollen Menschen wie Du und Ich denn noch Neues zu einem Thema beizutragen haben, was ohnehin jeden von uns auf irgendeine Art und Weise beschäftigt? Und so richtig in die Tiefe gehen die Kommentare der meisten Gesprächspartner in „Driving Europe“ dann auch nicht; da hätte auch eine Rundumsicht im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis gereicht, um festzustellen, dass die Europäischen Staaten mit dem Flüchtlingsstrom überfordert waren, oder es ein Segen ist, dass man aufgrund der EU in den Genuss offener Grenzen kommt. Immerhin den Vorzug der Multikultur lässt sich „Driving Europe“ zusprechen: Hier kommen aus sämtlichen bereisten Ländern verschiedene Stimmen zu Wort. Und wer hätte das Gedacht: Die Gedanken dieser ähneln sich dann doch zumeist. Ein Zeichen, dass der Gedanke europäischen Zusammenhalts vielleicht doch nicht ganz so weit hergeholt ist.

In den vergangenen Jahren hat sich ein auch an den Kinokassen viel beachteter Trend dazu entwickelt, eigene (Welt-)Reisen mit der Kamera zu begleiten und anschließend medienwirksam auszuschlachten: „Berlin2Shanghai“ über zwei Brüder auf Fahrradtour, „Expedition Happiness“ über eine hunderttägige Australienreise, „In zehn Tagen um die Welt“ oder auch „Egal was kommt“ schimpfen die sich und sind mal informativ, mal unterhaltsam, ab und zu aber auch einfach nur beweihräuchernd gegenüber derjenigen, die die Reise unternommen und anschließend den Film fertiggestellt haben. Letzteres kann man den Machern von „Driving Europe“ nicht vorwerfen. Man glaubt Ina Bierfreund, Felix Hartge und Tim Noetzel ihre Begeisterung für die Materie, obwohl sie selbst kaum im Film zu sehen sind. Doch die Art und Weise wie sie über den Film sprechen, die Interviews führen und diese am Ende zu einem in mehrere Kapitel aufgeteilten Film zusammengeschnitten haben, zeugt zumindest von dem guten Willen, hier am Ende ein rundes Werk abzuliefern. Als Uni-Abschlussarbeit wäre „Driving Europe“ sicher ein voller Erfolg. Ob’s für den auch reicht, wenn der Film so richtig ins Kino kommt, ist fraglich.

„Driving Europe“ fühlt sich ein wenig so an wie eine verfilmte Pro- und Contra-Debatte zum Thema Europäische Einheit. Mehr zutage gefördert als bei einer durchschnittlichen Schulstunde in Politik und Gesellschaftskunde wird dabei aber leider nicht.

Antje Wessels