Enkel für Anfänger

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Regisseur Wolfgang Groos überzeugte zuletzt vorwiegend durch seine Filme für die junge Zielgruppe. In „Enkel für Anfänger“ widmet er sich jetzt der „Generation Gold“ - und führt gleich in der aller ersten Szene die von derartigen Begriffen geschürten Erwartungen ad absurdum. Seine Seniorencomedy ist so frisch und herzlich, dass sie diesen Begriff abgesehen von der inhaltlichen Thematik eigentlich gar nicht verdient - und dass man lange in seinem Gedächtnis kramen muss, um sich daran zu erinnern, wann man denn zuletzt eine ähnlich gute deutsche Comedy gesehen hat.

Webseite: kinofinder.studiocanal.de/enkel_fuer_anfaenger_

Deutschland 2020
Regie: Wolfgang Groos
Darsteller: Barbara Sukowa, Heiner Lauterbach, Maren Kroymann, Lavinia Wilson, Palina Rojinski, Paula Kalenberg, Tim Oliver Schultz, Dominic Raacke
Verleih: STUDIOCANAL
Länge: 101 Min.
Start: 6. Februar 2020

FILMKRITIK:

Karin (Maren Kroymann), Gerhard (Heiner Lauterbach) und Philippa (Barbara Sukowa) haben nicht nur ihr Rentenalter gemein, sondern auch die die Angst vor der Langeweile im Alltag. Die quirlige Philippa hat dagegen vorgesorgt und kümmert sich als Paten-Oma regelmäßig um betreuungsbedürftige Kinder aus der Nachbarschaft. Etwas, was für Karen und insbesondere Gerhard eigentlich gar nicht infrage kommt. Doch manchmal kommt es eben ganz anders und so findet sich Karin schon bald als Betreuerin zweier aufgeweckter Patchwork-Geschwister wieder, die mit dem unsteten Umfeld ihrer Familie heillos überfordert sind. Und auch der verhärmte Witwer Gerhard erkennt in einem kleinen russischen Jungen zunächst sich selbst wieder und entdeckt später die Freude daran, wie es ist, auch im hohen Alter noch mal Verantwortung zu übernehmen und neue Freundschaften zu schließen. Doch damit fangen die Probleme erst an, denn seit die drei selbst im Elternalter waren, hat sich eine ganze Menge verändert. Da sind Erdnussallergien und Globuli-Tropfen noch das geringste Übel…
 
Normalerweise beginnen wir unsere Filmkritiken ja immer mit ein paar interessanten Trivia-Fakten zum Projekt oder den Verantwortlichen vor sowie hinter der Kamera. Im Falle von „Enkel für Anfänger“ spricht es aber vor allem Bände, wenn man einfach mal schildert, wie das erste Pressescreening in Hamburg abgelaufen ist. Dort wartete nämlich dieser Tage ein pickepackevoller Kinosaal darauf, Wolfgang Groos‘ neueste Regiearbeit zu sehen. Vor dem Film verkündete ein Sprecher des Verleihs, wie stolz man intern auf dieses Projekt sei – schon oft bemühter Werbesprech, der sich an diesem Abend aber irgendwie aufrichtiger anhören sollte als sonst. Nach dem Film gab es schließlich Applaus. Zweimal. Einmal beim Einsetzen des Abspannes und einmal als die Lichter des Kinosaals wieder angehen. Und Applaus bei einem Pressescreening, liebe Leserinnen und Leser, kommt allenfalls alle Jubeljahre mal vor. Doch irgendetwas Magisches hatte dieser ganz besondere Kinoabend im Dezember 2019 an sich. Und den wohl größten Anteil daran hat mit „Enkel für Anfänger“ eine deutsche Generationenkomödie, die so lustig, so warmherzig, so offen und ehrlich ist, dass man sich nur wünschen kann, dass sie tatsächlich sämtliche Zuschauer zwischen 8 und 80 erreicht.
 
„Enkel für Anfänger“ lässt gleich zu Beginn Schreckliches vermuten. Wir sehen Männer und Frauen der Generation der so genannten „Golden Ager“, „Silver Surfer“ und wie sie nicht alle genannt werden, bei aufregenden Aktivitäten. Fit und vital, wie aus einem „Apotheken Umschau“-Werbespot – oder in jedem x-beliebigen Hollywoodfilm, in dem Senioren auf ihre alten Tage noch einmal so richtig rüstig werden. Aus dem Off erklärt Maren Kroymann alias Karin dieses Bild der nimmermüden, lebenshungrigen Rentner aber schon sehr bald für Bullshit. Die Szenerie ist gestellt, ein Zeitungsartikel über das Leben im Alter zeichnet ihre und die Welt ihres Mannes nicht als kunterbunt, sondern beige. Hier wird nicht geklettert, geradelt oder aktiv am Leben teilgehabt. Stattdessen wird im heimischen Garten der Mähroboter begutachtet und die Modelleisenbahn neu lackiert. Gewitzt dreht der mit „Enkel für Anfänger“ sein Spielfilmdebüt gebende Drehbuchautor Robert Löhr („Das Institut, Oase des Scheiterns“) das Filmimage des fitten Rentners um 180 Grad. Spricht aus, was ist, ohne dabei despektierlich zu werden. Denn am Ende geht es in seinem Film ja eben doch um drei Menschen im Seniorenalter, die gegen die sich ankündigende Trostlosigkeit etwas unternehmen wollen.
 
Das Phänomen der Leih-Großeltern ist hierzulande bisher kaum bekannt, erweist sich aber durchaus als aktuelles Thema. Erst in diesem Jahr eröffnete die erste deutsche Website, über die Menschen im Großeltern-Alter ihre Dienste in der Kinderbetreuung anbieten können und hilfsbedürftige Familien auf der anderen Seite nach Unterstützung suchen können. In „Enkel für Anfänger“ geht dieser Prozess noch analog vonstatten. Löhr führt drei Familien – die Öko-Eltern Antje (Paula Kalenberg) und Tobias (Tim Oliver Schultz), eine allein erziehende Mutter (Palina Rojinski) sowie eine moderne Patchwork-Family (Lavinia Wilson und Dominick Raacke) – mit den unerfahrenen „Aushilfsgroßeltern“ zusammen und entspinnt auf der Leinwand eine gleichermaßen hochamüsante wie tief emotionale Aneinanderreihung familiärer Ausnahmesituationen. Doch was wie eine Nummernrevue klingt (und der Trailer fälschlicherweise auch ein wenig so ankündigt), ist in Wirklichkeit ein herzergreifendes Plädoyer für die Mannigfaltigkeit des Generationen übergreifenden Familiengedanken. Im Jahr 2019 ist „Vater, Mutter, Kind“ längst nicht mehr das anzustrebende Lebensideal, stattdessen ist Glück individuell. Wolfgang Groos bringt diese Erkenntnis mit seinem „Enkel für Anfänger“ vortrefflich auf den Punkt, indem er seine bisweilen episodenhaft erzählte Geschichte immer genau die richtigen Töne treffen lässt und dabei auch vor durchaus derberem Humor nicht zurückschreckt. Hier nimmt eben keiner ein Blatt vor den Mund, wenn ihm was nicht passt – selbst, wenn er das Herz eigentlich am rechten Fleck hat.
 
Vorwiegend für die verbalen Attacken zuständig, ist in „Enkel für Anfänger“ Heiner Lauterbach („Willkommen bei den Hartmanns“) als verhärmter Witwer Gerhard. Dass Löhr seine Figur als homosexuell anlegt und diesen Umstand nur ein einziges Mal inhaltlich relevant macht, beweist eine bemerkenswerte Selbstverständlichkeit darin, queere Figuren langsam, aber sicher zu einer ganz alltäglichen Erscheinung im (deutschen) Filmgeschäft zu machen. Gerhard definiert sich hier nicht über seine Sexualität, sondern zunächst über seinen offen ausgetragenen Kinderhass, den er während seiner Zeit als Aushilfs-Opa sukzessive ablegt. Die charakterlichen Entwicklungen der drei Protagonisten wirkt zwar auf den ersten Blick vorhersehbar. Doch insbesondere Maren Kroymanns („Der Junge muss an die frische Luft“) „Happy End“ ist für einen derart massentauglichen Film wie „Enkel für Anfänger“ einer ist alles andere als selbstverständlich. Lediglich Barbara Sukowa („Rocca verändert die Welt“) lässt sich bisweilen etwas zu sehr auf die niemals alt werden wollende Hippie-Oma reduzieren. Eine durch Sukowas starkes Spiel jedoch verschmerzbare Schwäche. Überhaupt blühen im Anbetracht des gleichermaßen geradlinigen wie immer wieder überraschenden Skripts, das sich so gut wie keinen Leerlauf erlaubt und sowohl in den ruhig-emotionalen als auch den laut-humoristischen Momenten überzeugt, sämtliche Darsteller so richtig auf. Und das Publikum mit ihm gleich mit.
 
Auch wenn es natürlich ein Risiko ist, sich bereits Ende 2019 auf so ein Urteil festzulegen, so darf doch sehr stark daran gezweifelt werden, dass es 2020 eine bessere deutsche Komödie ins Kino schaffen wird als Wolfgang Groos‘ „Enkel für Anfänger“. Dieser Film gehört mit der ganzen Familie genossen!
 
Antje Wessels