Esta Todo Bien – Alles ist gut

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Um die Krise des Gesundheitssystems in Venezuela geht es in Tuki Jencques Film „Esta Todo Bien“, der sein sehr spezielles Thema zusätzlich auf spröde Weise angeht. Doch gerade die ungewöhnliche Form – eine Mischung aus Dokumentaraufnahmen und inszenierten Szenen mit Beteiligten – macht den Film interessant, vor allem jedoch für Lateinamerikaspezialisten.

Webseite: www.estatodobien.net

Dokumentation
Venezuela/ Deutschland 2018
Regie: Tuki Jencque
Länge: 70 Minuten
Verleih: déjà-vu Film
Kinostart: 20. Juni 2019

FILMKRITIK:

Seit dem Tod des langjährigen Präsidenten Hugo Chavez im Jahre 2013, driftet das südamerikanische Land Venezuela immer mehr ab. Auf der europäischen oder deutschen Agenda kamen die zunehmend schwierigen politischen Verhältnisse, gepaart mit einer immer schlechter werdenden Versorgungslage jedoch erst vor wenigen Monaten an. Denn im Januar begann die zweite Amtszeit des aktuellen Präsidenten Nicolás Maduro, dessen Wahl jedoch von einheimischen Gegnern, aber auch der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird.
 
Doch die Einzelheiten der politischen Entwicklung Venezuelas der letzten Jahre kommen in Tuki Jencques Film nur am Rande vor. Zwischen Mai 2016 und August 2017 fanden die Dreharbeiten statt, die zum Teil auf klassisch dokumentarische Weise eine Handvoll Protagonisten begleiten, aber auch darüber hinaus gehen. Verbindendes Element ist das Gesundheitssystem, beziehungsweise der zunehmende Verfall desselben. Die Apothekerin Rosalia Zola muss aus Mangel an Nachschub immer häufiger Kunden abweisen, die in allen Apotheken und Krankenhäusern der Gegend nach Medikamenten suchen, die immer rarer werden. Auch der Unfallchirurg Efraim verzweifelt zunehmend an der immer schwieriger werdenden Situation, die vor allem auch dazu führt, dass tausende Ärzte und Medizin-Studenten das Land verlassen haben, was die ohnehin schon schwierige Situation immer mehr verschärft. Besonders bekommen dies natürlich die unmittelbar Betroffenen zu spüren: Die Kranken, wie die Krebspatienten Mildred und Rebeca.
 
Sie alle beobachten Jencques bei ihren alltäglichen Beschäftigungen, vor allem hat er sie jedoch auch auf eine behelfsmäßige Bühne geholt, wo sie in spartanischen Sets Szenen ihres Schicksals nachspielen. Statt wie den Konventionen des Dokumentarfilms üblich, Interviews mit den Beteiligten und Betroffenen zu führen, diese direkt über ihr Schicksal und ihre Probleme zu befragen, erzeugt Jencques durch diesen Kniff eine gewisse Abstraktion. Die dennoch dadurch, dass sie dem Leben der Protagonisten nahekommen, auf erlebtem und erlittenem basieren, erstaunlich authentisch wirken.
 
Dennoch bleibt der Erkenntnisgewinn dieser stilisierten Momente beschränkt. Weit intensiver und interessanter sind die im für das dokumentarische Kino ungewöhnlichem Scope-Format gedrehten Beobachtungen des Alltags der Hauptstadt Caracas. Ohne Stellung zu den politischen Entwicklungen und Verwerfungen zu nehmen, zeichnet Jencques das Bild einer Gesellschaft, die langsam verzweifelt. Zwar geht das Leben weitestgehend seinen Weg, doch der dauerhafte Mangel, die ständige Notwendigkeit, improvisieren zu müssen, die Unsicherheit, wie es mit dem Land und dem eigenen Leben weitergeht, nagt augenscheinlich an allen Protagonisten. Viele, die können, verlassen deswegen das Land, andere bleiben zurück, sei es aus Patriotismus, sei es aus Mangel an Möglichkeiten. Auch wenn die Dreharbeiten von „Esta Todo Bien“ schon mehr als zwei Jahre zurückliegen, gelingt Tuki Jencque durch seinen ungewöhnlichen Ansatz, ein zeitloser Blick auf die Lage Venezuelas.
 
Michael Meyns