Germania

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Burschenschaften und Studentencorps, zumal schlagende, stehen gemeinhin in einem zweifelhaften Ruf. Zu rückwärtsgewandt und oft zu nah an nationalistischen Ufern gebaut erscheinen die rein männlich besetzten Gruppierungen. Ein Nährboden für die Vorbehalte ist die geheimbündlerisch wirkende Verschlossenheit der Verbindungen. Der Regisseur Lion Bischof bringt mit dem Dokumentarfilm „Germania“ etwas Licht ins Dunkel. Über mehrere Monate hinweg begleitete er die im „Corps Germania München“ organisierten Studenten. Sein kommentarloser Blick ermächtigt das Publikum dazu, das Corpsleben selbst zu beurteilen.

Webseite: mindjazz-pictures.de

Deutschland 2018
Regie & Drehbuch: Lion Bischof
Laufzeit: 78 Min.
Verleih: mindjazz pictures
Kinostart: 7. März 2019

FILMKRITIK:

„Germania“ beginnt passenderweise mit dem Aufnahmegespräch eines Studenten, der dem titelgebenden Corps beitreten will. Zusammen mit dem Neuling aus Brasilien lernen wir die Abläufe und Traditionen der farbentragenden und schlagenden Verbindung kennen, die seit ihrer Gründung anno 1863 scheinbar kaum an die Zeitläufte angepasst wurde. Die Corpsstudenten singen Lieder, die sonst nur unsere Großeltern kennen, tragen fastnachtswürdige Kneipjacken und üben das Fechten, um die obligatorische Mensur zu bestehen. Der Unterschied zum gemeinen Studentenleben könnte kaum größer sein – im Corpsgeist lebt der Muff unter den Talaren fort.
 
Lion Bischof taucht als stiller Beobachter in den Mikrokosmos der „Münchner Germanen“ ein, filmt Sitzungen, Übungen oder Trinkspiele und klärt die hierarchische Ordnung von „Jungfüchsen“ und „Alten Herren“. Das Leben im Verbindungshaus ist strikt reglementiert. Körperliche Ertüchtigung kommt ebenso vor wie regelmäßiger, oft beiläufiger und gern exzessiver Alkoholkonsum. Beides, Liegestütze wie Biertrinken, dient auch als disziplinarische Maßnahme.
 
Die Frage, warum ein junger Mann im Jahr 2018 einem Corps beitritt, treibt den Film implizit um; immerhin steht das auf die preußische Art organisierte Verbindungsleben dem von individueller Entfaltung durchtränkten Zeitgeist diametral entgegen. Ihre Motive reißen die Corpsburschen in eingestreuten Interviews ein, bei denen die Fragen des Regisseurs ausgespart bleiben. Manche setzen auf das Verbindungsnetzwerk, das sie beim Berufseintritt anschieben kann, andere loben den Zusammenhalt im Corps oder wollen zu „richtigen Männern“ reifen. Außerdem ist die Miete in der von den Alten Herren mitfinanzierten Villa niedrig. Manchmal liegen die Gründe in der Familie: Einer ist in der dritten Generation Verbindungsmitglied.
 
Die Bilder und Eindrücke lässt Bischof konsequent unkommentiert. Allein die punktuell eingespielte Musik von Matthias Lindermayr akzentuiert das Gezeigte gelegentlich mit kleinen Ausrufungszeichen. Die teilnehmende Art der Beobachtung hat durchaus das Potential, Gespräche anzustoßen: Die Jury der Filmbewertungsstelle in Wiesbaden vergab das Prädikat wertvoll erst nach „ausgiebiger Diskussion“ – nicht die schlechteste Würdigung für einen Dokumentarfilm.
 
Christian Horn