Hell or High Water

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David Mackenzies (Young Adam“, Perfect Sense“) vielschichtiger Heist-Western-Mix „Hell or High Water“ wird bereits als Oscar-Kandidat gehandelt und das vollkommen zu Recht. Der Thriller um zwei ungleiche Brüder, die im tiefsten Texas Banken ausrauben, bietet neben reichlich Suspense vor allem ein doppelbödiges Katz-und-Maus-Spiel und bissige Kommentare auf die mitunter triste wirtschaftliche Realität in den USA. Oscar-Preisträger Jeff Bridges als knochiger Texas Ranger sowie Chris Pine und Ben Foster als das vom Gesetz gejagte Brüderpaar liefern sich ein packendes, intensives Duell.

Webseite: www.paramount.de/kino

USA 2016
Regie: David Mackenzie
Drehbuch: Taylor Sheridan
Musik: Nick Cave, Warren Ellis
Darsteller: Chris Pine, Ben Foster, Jeff Bridges, Gil Birmingham
Laufzeit: 102 Minuten
Verleih: Paramount
Kinostart: 12.1.2017
 

FILMKRITIK:

Es gibt keine Zeit zur Orientierung, keine Exposition, keine Erklärung. Stattdessen eröffnet David Mackenzie („Young Adam“, „Perfect Sense“) seinen neuen Film mit einer intensiven, energetisch gefilmten Actionsequenz. Der Zuschauer befindet sich mitten im Geschehen, als die beiden Brüder Toby (Chris Pine) und Tanner (Ben Foster) eine kleine Filiale der fiktiven Texas Midland Bank auszurauben versuchen. Ihr Plan geht auf, auch wenn sie sich bei ihrem Überfall nicht in jedem Moment wirklich geschickt anstellen. Sie entkommen mit einer ordentlichen Summe Bargeld, was vor allem beim draufgängerischen Tanner fast schon Euphorie auslöst. Dabei weiß er nur gut, dass die Staatsgewalt meist zurückschlägt. So ist er gerade das erste Mal seit langer Zeit wieder auf freiem Fuß. Doch die Jahre im Gefängnis haben bei ihm offenbar kein Umdenken bewirkt – im Gegenteil.
 
Um eine eigentlich viel zu teure Hypothek zurückzuzahlen, den ausgerechnet jene Texas Midland Bank ihrer verstorbenen Mutter verkauft hat, setzen die Brüder in bester Robin-Hood-Manier ihren Raubzug auf weitere Bankfilialen fort. Der lange Atem des Gesetzes sitzt ihnen inzwischen aber dicht im Nacken. Dank des erfahrenen, etwas verschrobenen Texas Rangers Marcus (Jeff Bridges) und seines Partners Alberto (Gil Birmingham), einem Nachkommen amerikanischer Ureinwohner, der mit scheinbar stoischer Ruhe die rassistischen Kommentare seines Partners erduldet, geraten die beiden Outlaws bei ihren nicht immer durchdachten Überfällen zunehmend in Bedrängnis.
 
Geschickt spielt das Skript von „Sicario“-Autor Taylor Sheridan sowohl mit Stereotypen des Western- und Heist-Genres als auch mit den Sympathien des Zuschauers, die mehrmals zwischen den Bankräubern und den Cops hin- und herwechseln. Insbesondere der eher besonnene Toby, Vater zweier Söhne, taugt so wie Chris Pine ihn verkörpert durchaus als Sympathieträger und Identifikationsfigur. Während Pine sein nuanciertes Schauspiel außerhalb von Hollywoods Blockbuster-Welt beweisen darf, bleibt für seinen Filmpartner Ben Foster einmal mehr die Rolle des knallharten Draufgängers. Dessen Badass-Attitüde wirkt weder forciert noch behauptet. Vielmehr verleiht Foster seiner Figur eine gefährliche Unberechenbarkeit. Letzteres trifft auch auf den Film als Ganzes zu. Mag „Hell or High Water“ zunächst einer simplen Jäger-und-Gejagte-Dramaturgie folgen, so entpuppt er sich unter der Regie Mackenzies am Ende als intelligenter Neo-Western mit doppeltem Boden.
 
Natürlich sind Vergleiche zu den Werken Cormac McCarthys und insbesondere zum Oscar-Gewinner „No Country for Old Men“ schon aufgrund des gemeinsamen Schauplatzes naheliegend. Anders als bei den Coens bleibt die Geschichte bei Mackenzie und Sheridan trotz mancher (schwarz-)humoriger Zwischentöne, die meist auf das Konto des grummelnden Bridges gehen, stets mit der gelegentlich tristen Realität im texanischen Hinterland verbunden. Der wirtschaftliche Niedergang ganzer Regionen ist in „Hell or High Water“ als Motiv unübersehbar. Endlose Werbeschilder entlang der Highways, auf denen den vielen überschuldeten Amerikanern ein finanzieller Neuanfang versprochen wird, zeichnen wie auch die Geschäftspraxis der Banken ein düsteres Bild. Die Frage, ob Toby und Tanner oder doch das ausgeraubte Geldinstitut der wahre „Bad Guy“ ist, scheint durchaus legitim.
 
Die gleiche Ambivalenz steckt auch in den Figuren. Sie sind weitaus komplexer als zunächst vermutet, was sie für das Publikum nur noch interessanter macht. Das erklärt zum Teil auch die Dynamik und Intensität des Plots, der es vermag, sowohl mit dem klassischen Western-Shootout als auch mit einem rein verbalen Kräftemessen Spannung zu erzeugen. Am Ende von „Hell or High Water“ warten keine eindeutigen Sieger oder Besiegte – bestenfalls ein ziemlich dunkler Hoffnungsschimmer.
 
Marcus Wessel