Hi, AI

Zum Vergrößern klicken

Die digitale Revolution schreitet voran - Computer waren nur der Anfang, es folgt die Ära der künstlichen oder artifiziellen Intelligenz: AI oder auch KI. Isa Willinger zeigt Beziehungen zwischen Menschen und Maschinen, die bereits existieren. Oft spielerisch, manchmal träumerisch versonnen präsentiert die Filmemacherin einen Blick in die Zukunft. Im Mittelpunkt stehen ein niedlicher japanischer Lausebengel-Roboter und eine sprechende Sexpuppe mit philosophischen Neigungen. Dank einer ungewöhnlichen Struktur verfügt „Hi, AI“ über einen beträchtlichen Charme. Das liegt zum einen an den Robotern, die im Verlauf immer menschlicher wirken, aber auch an der erfrischend unbefangenen Art, wie Isa Willinger an ihr Sujet herangeht. Sie wertet nicht, sie schaut auf Menschen, Maschinen und Situationen. So liefert sie einen sehenswerten, unaufgeregten Film, der zu Diskussionen einlädt.

Webseite: www.hiai-film.de

Dokumentarfilm
Deutschland 2019
Regie und Buch: Isa Willinger
90 Minuten
Verleih: Rise And Shine
Kinostart: 7. März 2019

FESTIVALS/PREISE:

2019 Filmfestival Max Ophüls-Preis, Bester Dokumentarfilm

FILMKRITIK:

Isa Willinger hat ihren Film auf drei Kontinenten gedreht, wobei Europa den kleinsten Anteil hat, die Schwerpunkte liegen in Asien und in den USA. Dort spielen die beiden Hauptstränge des Films: Aus Japan stammt der „Familienroboter“ Pepper, ein kleiner, frecher Kerl, der bei einer älteren Dame lebt. Pepper soll verhindern, dass sie sich langweilt, und entwickelt schon bald ein gewisses Eigenleben. Pepper ist vielseitig begabt, und obwohl er gar nicht so menschlich aussieht, hat er doch viele menschliche Eigenschaften, die an Kinder erinnern. Er ist sehr lernfähig und kann passend zu dem, was er sagt, den Kopf bewegen, beispielsweise kann er ihn eingeschnappt abwenden. Er reagiert auf Berührungen und ist sogar kitzlig. Pepper stellt viele Fragen, aber genau wie ein Kind interessiert er sich nicht immer für die Antworten, sondern erzählt lieber über sich selbst. Harmony, die Robotfrau aus den USA, gehört zu Chuck, und ist wie Pepper eine Art Prototyp. Sie begleitet ihn auf einer Tour mit dem Wohnmobil. Chuck wünscht sich weibliche Gesellschaft, hat aber ein gestörtes Verhältnis zu Frauen. Eigentlich ist Harmony eine Sexpuppe, was der Film nicht thematisiert. Es wird an keiner Stelle erwähnt oder gezeigt, dass Chuck Harmony sexuell berührt, und er selbst spricht nicht darüber. Harmony sieht relativ menschenähnlich aus, hat – wie es sich für eine Sexpuppe gehört – einen sehr weiblichen Körper mit mächtigen Brüsten, einem ausladenden Achterdeck und dazu eine schmale Taille. Sie kann mithilfe eines Handys sprechen, antwortet auf Fragen und ist beinahe smalltalkfähig, wobei sie gern mal Lexikontexte vorträgt oder Literatur zitiert. Sie verfügt über eine Minimalmimik, was konkret bedeutet, dass sie den Kopf drehen kann, mit den Wimpern klimpert und den Mund bewegt. Das ist nicht immer synchron, aber funktioniert ganz gut. Da Harmony nicht laufen kann, muss sie getragen werden, oder sie sitzt in einem Rollstuhl, den Chuck schiebt. Trotz der Liebesbezeugungen, die Harmony gelegentlich Richtung Chuck verteilt, steht er der Angelegenheit deutlich kritisch gegenüber. Manchmal bringt sie ihn zum Lachen, oft sieht er aus, als ob er sich das Lachen verkneifen muss, oder er wirkt leicht genervt, obwohl er sich genau an die Anleitung hält, die er gleich zu Beginn von Harmonys Schöpfer bekommt: „Bei einer KI musst du deine Sätze knapp und pointiert halten“, sagt der Robot-Entwickler Matt, als er Chuck zum ersten Mal mit Harmony bekannt macht, zunächst nur mit ihrem sprechenden Kopf, der mit Technik vollgestopft ist. Ein Raum, gefüllt mit Köpfen von weiblichen und einigen männlichen Puppen, hat etwas leicht Gruseliges, und Chuck hat verständliche Hemmungen, Harmonys Kopf an- oder abzuschrauben.
 
Zwischendurch werden auch andere Roboter vorgestellt, manche humanoid, wie die künstliche Zahnarztpatientin, die Roboter-Empfangsdame oder eine ältere Dame, die Geschichten erzählt. Andere wieder verfügen zwar über menschliche Fähigkeiten und können zum Beispiel tanzen, aber sehen wenig menschlich aus. Einige können sprechen und verfügen dabei über eine erstaunliche Mimik. Es wird wenig dazu erklärt, manchmal sprechen die Techniker über ihre Geschöpfe. Ein paar interessante Fragen tauchen auf wie z. B.: Brauchen Roboter ein Bewusstsein? Warum sollen Roboter humanoid sein? Darüber lässt sich ebenso trefflich diskutieren wie über die Frage, was und wieviel von unserem Alltag wir den Maschinen überlassen wollen. Welche Aufgaben muss, darf, soll oder könnte künftig ein Roboter in unserem Leben übernehmen? Wie müsste ein Roboter aussehen und beschaffen sein, damit er als Bezugsperson akzeptiert wird? Dabei geht es sicherlich auch um ethische und philosophische Aspekte, beispielsweise, ob ein Roboter immer nur ein Surrogat für die menschliche Gesellschaft sein kann … oder vielleicht sogar besser?
 
Isa Willinger hat für ihre Arbeit einen originellen Stil gefunden. Ihr Film trägt sowohl erklärende als auch essayistische Züge, sie selbst nennt ihn einen „beobachtenden Dokumentarfilm“. Anhand der beiden Hauptgeschichten wird eine sanft chronologische Struktur sichtbar, in die alle übrigen Nebenhandlungen eingefügt werden, wobei der Begriff der Handlung wenig mit einer klassischen Erzähldramaturgie zu tun hat. Hier geht es also nicht um Höhepunkte und nur wenig um spannende Wendungen. Es gibt praktisch keine „Talking Heads“, also keine üblichen Interviewsituationen, sondern die handelnden Personen inklusive der Roboter werden in entsprechenden Situationen gezeigt, die wenig oder gar nicht inszeniert wirken und damit glaubhaft und natürlich. Der Beliebigkeit, die sich dadurch einschleichen könnte, begegnet Isa Willinger mit einer ausgefuchsten Schnitttechnik, indem sie ohne erkennbares Schema zwischen den Schauplätzen wechselt. Das macht den Film unterhaltsam. Sie verzichtet auf erklärende Kommentare, was das Mitdenken fördert. Gelegentlich ergänzen sich der spielerische Hintergrund des Sujets – Roboter sind ja auch Spielzeuge und Ausdruck menschlicher Kreativität – und die dahinter steckende Technologie. Das führt zu träumerisch wirkenden Bildern, am besten bei dem Ballonroboter, der scheinbar schwebt und nur durch Kontakte an seinen dünnen Spinnenbeinen am Boden gehalten wird, was ihm die Eleganz und Leichtigkeit eines leicht angeschickerten Balletttänzers und damit einen sehr fremdartigen Charme verleiht. Die Empfangsdamen und Rezeptionistinnen sowie die ältere Geschichtenerzählerin hingegen sehen, abgesehen von kleinen technischen Pannen, schon so aus, als seien sie Bestandteil der Realität. Wie werden Roboter das Leben der Menschen verändern? Isa Willinger zeigt Beispiele dafür, was heute schon möglich ist, und liefert dadurch inhaltliche Anstöße, die sie in unterhaltsame Bilder verpackt. Ganz ohne Belehrung und mahnenden Zeigefinger.
 
Gaby Sikorski