Ink Of Yam

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Der junge Regisseur Tom Fröhlich hat eins der ältesten Tattoo-Studios Jerusalems besucht und dort einen unaufgeregten Dokumentarfilm gedreht. In „Ink of Yam“ geht es vor allem um das alltägliche Lebensgefühl in einer Stadt, über der eine dauerhafte Gefahrenlage wabert. Die Dokumentation gewann 2017 den Hessischen Filmpreis als Bester Hochschulfilm und lief unter anderem bei den Hofer Filmtagen und beim DOK.fest München.

Webseite: www.inkofyam.com

Deutschland 2017
Regie & Drehbuch: Tom Fröhlich
Mitwirkende:
Laufzeit: 75 Min.
Verleih: jip film & verleih
Kinostart: 9. Mai 2019

FILMKRITIK:

In einer Vorrede aus dem Off steckt Daniel Bulitchev, einer der beiden Ladenbesitzer, den Rahmen ab: „Stell dir vor, du öffnest am Morgen das Geschäft, trinkst deinen Kaffee, fängst an zu zeichnen. Du hast deinen ersten Kunden, deinen zweiten. Du arbeitest in einer schönen ruhigen Umgebung, Musik spielt im Hintergrund, als du plötzlich einen gewaltigen Knall hörst.“ Immer dieselbe Ereigniskette: „Boom – Stille – Sirenen – Schreie.“
 
Genau darum geht es in „Ink of Yam“: Um das Gefühl, das in einer Stadt aufkommt, in der Anschläge gewissermaßen zum Alltag gehören. Diese Stadt mache einen verrückt, meint einer der Kunden, und verweist auf das Jerusalem-Syndrom. Auf den Eröffnungsmonolog folgt eine Aufblende in die israelische Wüste: Willkommen im Nahostkonflikt.
 
Abgesehen von kurzen Stadtansichten spielt die Dokumentation fast komplett im 1993 gegründeten Tattoo-Studio „Bizzart“, das in einer Seitenstraße vor den Toren der Altstadt liegt. Die Ladeninhaber und Tätowierer Poko Haim und Daniel Bulitchev wurden in Moskau und St. Petersburg geboren und leben schon lang in Israel. Die entspannte Art der Protagonisten trägt zum ruhigen Erzählfluss der Doku bei, die sich in Gesprächssituationen mit den Kunden entfaltet (Kundinnen kommen keine vor).
 
Im Grunde läuft es beim Tätowieren ähnlich wie beim Friseur. Die Konstellation animiert zum Reden, nur dass die Sessions länger dauern, im Wortsinn tiefer gehen und das Ergebnis für eine halbe Ewigkeit gemacht ist. Ins Studio von Poko und Daniel kommen Juden, Moslems, Christen und Atheisten. Sie alle erzählen aus ihrem Leben in Jerusalem, wobei unnötig viel Musik läuft, obwohl das Surren der Tätowiernadel besser zur schlichten Machart passt.
 
Die Struktur folgt einer Kapiteleinteilung, die hier „Sessions“ heißen und jeweils einen der Kunden in den Fokus rücken: darunter Roi aus einer orthodox-jüdischen Familie, der dem strengen Vater noch keines seiner Tattoos gezeigt hat, und der Fotograf Andrawos, der als palästinensischer Christ nach Schweden ausgewandert ist. Die Besucher erklären ihre Lebensphilosophien, während sie sich beispielsweise einen Davidstern stechen lassen. Das hebräische Wort „Yam“ aus dem Titel steht übrigens für die Postleitzahl von Jerusalem, kann aber auch als „Meer“ oder „Gott“ übersetzt werden. Das passt zum Grundtenor der Gespräche, die um Gott und die Welt kreisen. Eine sehenswerte Doku, die nah bei den Menschen bleibt.
 
Christian Horn