Kindheit

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Unbeschwert soll die Kindheit ablaufen, aber was heißt das? Und was heißt das vor allem in der heutigen Welt, in der zumindest manche Eltern schon ihre Zweijährigen Chinesisch lernen lassen, damit sie später Chancen auf einen guten Job haben. Margreth Olin zeigt in ihrer Dokumentation „Kindheit“ eine andere Form der Erziehung, frei und selbstbestimmt, ohne zu behaupten, dass dieser Weg unbedingt der Beste ist.

Webseite: www.kindheitderfilm.de

Dokumentation
OT: Barndom
Norwegen 2017
Regie: Margreth Olin
Länge: 90 Minuten
Verleih: mindjazz Pictures
Kinostart: 19. April 2018

FILMKRITIK:

Irgendwo in der norwegischen Provinz hat Margreth Olin ihren neuen Dokumentarfilm „Kindheit“ gedreht, in malerischer Landschaft, die so unberührt und natürlich wirkt, dass sie fast wie aus einem Märchen zu stammen scheint. Hier fand die Regisseurin einen Kindergarten, in dem ein bis sechsjährige Kinder nicht erzogen, nicht gelenkt werden, sondern einfach sind. Denn das Prinzip dieses Kindergartens ist die totale Freiheit, die Überlegung, dass Kinder schon selbst wissen, was gut für sie ist, wie Konflikte auszutragen sind, was sie miteinander spielen wollen, wie sie die Natur entdecken können.
 
Die Erwachsenen sind hier nicht Lehrer oder Erzieher, sondern kaum mehr als lose Beobachter, die möglichst wenig eingreifen und schon gar nicht lenken. Für die typischen Helikoptereltern deutscher Großstädte, die oft schon den Notarzt rufen, wenn ihr Kind auf dem Spielplatz auch nur ein Sandkorn in den Mund nehmen, könnte das Bild dieser frei herumlaufenden Kinder Weltbilder zerstören: Da werden Ameisen gegessen, auch mal gerauft und gestritten und all das, ohne das Erwachsene eingreifen.
 
Eine bukolische Welt zeigt Olin, frei von Fernsehern, Handys oder sonstigen technischen Gerätschaften, geprägt vom Leben im Einklang mit der Natur. Etwas naiv und verklärend könnte das wirken, doch das tut es nicht, was vor allem Olins neutralem Blick zu verdanken ist. 90 Minuten beobachtet sie das Treiben, lose durch den Verlauf des letzten Jahres strukturiert, dass die ältesten der Kinder im Kindergarten verbringen, bevor es in die Schule geht.
 
Olin bewertet nicht, führt keine Interviews mit Eltern oder Erziehern, die dabei möglicherweise ins verklärende Schwärmen über dieses spezielle Kindergartensystem geraten wären, sie zeigt und lässt stehen. Denn so eindrucksvoll das unbeschwerte Heranwachsen genau dieser Kinder in genau dieser Umgebung wirkt: Was später aus ihnen wird, welche Wege sie in ihrem Leben gehen, ist zu diesem Zeitpunkt natürlich noch vollkommen offen. Nicht jedes dieser Kinder wird später ein glückliches Leben führen, genauso wenig wie ein Kind, dass schon im Kindergarten lernen soll und auf eine Karriere vorbereitet wird, später automatisch unglücklich werden wird.
 
Nicht um richtige oder falsche Methoden der Erziehung geht es Olin in ihrem Film, sondern um ein Nachdenken über das, was Erwachsene mit ihren Kindern machen, wie sie sie formen wollen, welche Freiheiten sie ihnen geben oder vorenthalten. Gerade das Olin nicht so tut, als würde sie in „Kindheit“ die eindeutig beste Methode präsentieren, macht ihre Dokumentation so sehenswert.
 
Michael Meyns