Mr. Gay Syria

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In den Medien werden als Gründe für Flucht und Migration fast ausschließlich (Bürger-) Kriege und wirtschaftliche Not genannt. Die Doku „Mr. Gay Syria“ zeigt, dass viele Menschen ihre Heimat auch deshalb verlassen müssen, weil sie ihre Sexualität nicht offen leben können und ihre wahre Identität verbergen müssen. Im Mittelpunkt stehen zwei syrische Flüchtlinge, die auf eine Zukunft ohne Verfolgung und Repressionen hoffen – durch die Teilnahme an einem Schönheitswettbewerb für schwule Männer. „Mr. Gay Syria“ ist ein mutiger, aussagekräftiger Film über Menschen, die der Unsichtbarkeit ihres Daseins entkommen wollen.

Webseite: www.coin-film.de

Deutschland, Türkei, Frankreich 2017
Regie & Drehbuch: Ayse Toprak
Länge: 88 Minuten
Kinostart: 6.9.2018
Verleih: Coin Film

FILMKRITIK:

Husein und Mahmoud teilen einen Traum: Sie wollen auf Malta am „Mr. Gay World“ teilnehmen, einem Schönheitswettbewerb für schwule Männer. Damit wären sie die ersten Araber aus dem Nahen Osten bei einer Veranstaltung dieser Art. Ihre Motivation ist unterschiedlich: Der 24-jährige Friseur Husein will endlich frei und in einer toleranten Gesellschaft leben. Diese Freiheit versucht er in der EU zu finden. Das mit der Teilnahme am „Mr. Gay World“ verbundene Ziel des 40-jährigen Mahmoud ist es, auf die schwierige Situation schwuler Moslems hinzuweisen. Der in Berlin lebende LGBT-Aktivist versucht, die internationale Aufmerksamkeit auf seine Kampagne zu lenken.

„Mr. Gay Syria“ ist das Kinodebüt der türkischen Filmemacherin Ayse Toprak, die einen der Porträtierten, Mahmoud Hassino, im Rahmen ihrer journalistischen Tätigkeit kennenlernte. Toprak arbeitete lange Zeit als Korrespondentin für den Sender Al Jazeera in der Türkei. Hassino unterstützte Toprak als Dolmetscher, als diese für ihren Film an der syrisch-türkischen Grenzen recherchierte. „Mr. Gay Syria“ erlebte seine Deutschland-Premiere auf den Hofer Filmtagen im Herbst 2017.

Mit Leidenschaft, Herz und – trotz des ernsten Hintergrunds und Themas – mit Humor, widmet sich Toprak ihren porträtierten Figuren. Für den humorvollen Anteil sind dabei in erster Linie Huseins Bekannter Omar und dessen Lebensgefährte Nader verantwortlich. Auch diese Beiden beobachtet Toprak immer wieder in ihrem Alltag. Dazu gehören ebenso intime, sehr persönliche Momente. Das gemeinsame Kuscheln und Filme schauen etwa oder wenn sie sich wieder einmal scherzhaft wegen ihres Gewichts necken. Was die Zwei mit den Protagonisten Mahmoud und Husein und vielen anderen schwulen Moslems gemeinsam haben: Sie konnten ihre Sexualität in ihrer syrischen Heimat nicht ausleben und mussten sich verstecken. Damit gehören sie zu jenen homosexuellen Flüchtlingen, denen nichts anderes übrig blieb als ihr Land aufgrund einer antiquierten Gesellschaft und eines ultrakonservativen politischen Systems zu verlassen.

Einen Schönheitswettbewerb wie „Mr. Gay Syria“, den Mahmoud initiiert hat, in Syrien selbst abzuhalten ist unmöglich. „Deshalb mussten wir ihn in der Türkei veranstalten, da dies in der Heimat ein großes Risiko wäre“, sagt der Aktivist bei einer Kundgebung in Berlin. Die Szenen, die Toprak bei diesem Wettbewerb einfängt, gehören zu den schönsten, heitersten und befreiendsten im ganzen Film. In einer kleinen, düsteren Istanbuler Eventlocation tritt gerade einmal eine Handvoll Teilnehmer gegeneinander an. Hier müssen sie sich nicht verstellen und können sich bei ihren – ebenso schrillen wie einfallsreichen – Tanz-darbietungen voll ausleben. Für ein paar Minuten vergessen sie dabei ihre alltäglichen Probleme. Am Ende gewinnt Husein, den Toprak von diesem Zeitpunkt an auf seinem Weg nach Malta und bei dem Versuch begleitet, ein EU-Visum zu erhalten.

Der Kampf um das Visum: Für einen syrischen Flüchtling, der nicht wegen des Bürgerkriegs sondern wegen der Unterdrückung von Minderheiten geflohen ist, eine kaum zu bewältigende Hürde. Dies ist eine weitere wichtige Aussage von „Mr. Gay Syria“. Toprak ist mit ihrer Kamera immer ganz dicht bei Husein, wenn dieser sich in die Mühlen der Bürokratie begibt. Und mit Behörden-Mitarbeitern telefoniert, Anträge stellt oder Unterlagen ausfüllt. Und sich nebenbei auf unzähligen Demos und Kundgebungen auch noch für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzt.   

Björn Schneider