Scala adieu – von Windeln verweht

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Die Schließung eines Programmkinos in Konstanz wird zum bürgerlichen Trauerspiel in einer von kommerziellen Interessen gesteuerten Möchtegern-Großstadt. Im Hintergrund blühen Filz und Klüngel, eine Bürgerinitiative wird gegründet, es gibt Proteste und Demos, doch am Ende wird das Kino doch zum Drogeriemarkt. Douglas Wolfspergers Dokumentarfilm ist alles andere als eine Elegie auf das „Scala“, sondern eine muntere Lektion in bürgerlichem Ungehorsam. Der Ton bleibt leise optimistisch, denn es geht um etwas Prinzipielles: um den Aufstand der Bürger gegen die Macht des Geldes und gegen den grenzenlosen Konsum, letztlich also um die kulturelle Zukunft eines ganzen Landes, und das macht den unterhaltsamen, kleinen Film zum Ausgangspunkt für (hoffentlich) viele Diskussionen.

Webseite: www.scala-adieu-film.de

Dokumentarfilm
Deutschland 2018
Buch und Regie: Douglas Wolfsperger
Kamera: Frank Amann, Börres Weiffenbach, Matthias Schellenberg, Kai Lehmann
Musik: Michael Lauterbach
80 Minuten
Verleih: Wilder Süden Filmverleih / Filmdisposition Wessel, Postdam (Vertrieb)
Kinostart: 21. März 2019

FILMKRITIK:

Für Douglas Wolfsperger ist der „Scala Filmpalast“ in Konstanz nicht nur ein Kino von vielen, sondern ein magischer Ort, wo er vor vielen Jahren den Film für sich entdeckte. Vielen geht es wie ihm, umso mehr, seit bekannt ist, dass der DM-Konzern plant, das Kino abzureißen, um eine neue Drogeriefiliale zu errichten. Seit vielen Jahren ist das „Scala“ im städtischen Kulturleben verwurzelt, doch all das scheint nichts mehr wert zu sein angesichts der Möglichkeiten, den zahllosen Schweizer Einkaufstouristen in Konstanz noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. Pikanter Nebenaspekt: Auch die DM-Märkte bzw. ihr Gründer und Geschäftsführer Götz Werner und der Kinobetreiber sind der Stadt Konstanz verbunden, was natürlich auf Gegenseitigkeit beruht. Die Filmfans erheben sich gegen die drohende Schließung und werden dabei begleitet von Douglas Wolfsperger, der immer tiefer in das Beziehungsgeflecht der Stadt eindringt, das von Abhängigkeiten, Geltungsdrang und Machtspielen geprägt ist. In Gesprächen erforscht er viele persönliche Geschichten von Stammgästen zu ihrem „Scala“, aber er spricht auch mit Befürwortern des Projekts, vor allem mit dem Bürgermeister – ein elastischer ehemaliger Wirtschaftsmanager. Es ist ihm allerdings hoch anzurechnen, dass er sich überhaupt den Interviews stellt, und es ist das Verdienst von Douglas Wolfsperger, beide Parteien vor die Kamera zu bekommen. Überraschenderweise gehört – neben vielen anderen, meist älteren Stammgästen – auch Eva Mattes zu den „Scala-Fans“. Sie kennt das Kino von vielen „Tatort“-Drehs am Bodensee. Vielleicht erleichtert ihr der Blick von außen die Sicht auf das Geschehen. Sie spricht kluge Worte über die Bedeutung des Kulturlebens und darüber, dass die Zerstörung von Kultur etwas mit den Menschen macht. Schließlich gibt sie den entscheidenden Hinweis, der so etwas wie der Knackpunkt des Ganzen ist: Hier in Konstanz würden alle so tun, als ob das alles von außen arrangiert wurde. Aber tatsächlich seien es die eigenen Leute, die den Abriss des Kinos wollen … Also lässt sich vielleicht unter diesem Aspekt doch noch das Unvermeidliche verhindern?

Bald wird klar, dass der Kinobetreiber nicht in diesem Film auftauchen wird. Das „Scala“ als Filmkunsttheater ist sein zweites Haus neben einem Multiplex-Kino. Und hier liegt dann auch ein kleiner Schwachpunkt des Films, denn natürlich steht und fällt ein Kino mit dem Anspruch seiner Betreiber. Und es gibt ganz offensichtlich kein Interesse am Weiterbetrieb des Programmkinos. Immer deutlicher wird der wahre Grund hinter den geheimen Verträgen zwischen den zum Schweigen verpflichteten Akteuren: Es geht um simple Geldgier, und das wiederum treibt die Filmfans nun wirklich auf die Barrikaden.

Douglas Wolfsperger macht sich zum Anwalt der Filmkunst, doch beinahe noch wichtiger als die Erinnerungen ist ihm, das Kino als Ort zu begreifen, als städtischen Treffpunkt, als soziales und kulturelles Zentrum, das der fortschreitenden Gesichtslosigkeit der Innenstädte widerstanden hat. In lockerer Folge verbindet Wolfsperger Interviewbilder mit Eindrücken aus der Grenzstadt und kommentiert selbst das Geschehen, das sich über einen Zeitraum von beinahe zwei Jahren erstreckt. Zwischendurch ist er selbst im Bild, gern mal sinnierend den Blick in die Ferne gerichtet, aber keineswegs in Trauer. Trotz aller Melancholie, die zwangsläufig zum Thema gehört, gelingt es ihm, einen beinahe lockeren Ton aufrecht zu halten, wofür auch die eingängige Musik von Michael Lauterbach mit verantwortlich ist. Auf Ironie wird weitgehend verzichtet, auch wenn der Untertitel anderes vermuten lässt. Wolfsperger bleibt ernst und ernsthaft. Dabei kommt kaum Trauer auf, eher Zorn und der Wunsch, etwas an den Zuständen zu ändern, die an der gesamten Republik wie eine um sich greifende Seuche nagen: ungebremster Konsum, effizienzgesteuerte Verwaltungsabläufe, Geldgier und Machthunger. Die Spaltung der Gesellschaft wird auch in Konstanz deutlich, allein schon in der Distanz zu Menschen, die im Kino das kleine Glück suchen oder die Begegnung mit der Kunst oder einfach Ablenkung.

Viele Fragen werden gestellt, die sich für prachtvolle Diskussionen über die kulturelle Zukunft der Städte eignen. Wer entscheidet über die Bedeutung des Kinos, über die Relevanz von Kultur und letztlich über die künftige Gestaltung der Citys? Wem gehört die Stadt? Auch die alte Diskussion, ob Film eigentlich Kunst ist und was ein Kino von anderen Gewerbebetrieben unterscheidet, wird wieder entfacht. Irgendwie ist es typisch deutsch, sich darüber Gedanken zu machen, ob etwas Kunst sein kann, wenn damit Geld verdient wird. Tief im bürgerlich saturierten Bewusstsein befindet sich offenbar eine Dachkammer, wo ein armer Poet unter seinem mühselig aufgespannten Regenschirm im Bett liegt. Das ist ein echter Künstler!, denkt das Bürgerlein. Der weiß, was sich gehört, er bleibt arm, und was er dabei produziert, ist eindeutig Kunst. Doch niemand würde bestreiten, dass das Theater eine Kunstform ist, auch wenn die Produktion eines Stückes die Kosten für einen Low Budget-Film häufig übersteigt und wohl kaum ein Stadttheater-Schauspieler bereit wäre, ohne Gage mitzuwirken, so wie es bei vielen kleinen Filmprojekten der Fall ist. Douglas Wolfsperger legt den Finger auf die Wunde, er appelliert mit seinem Film an alle Beteiligten, sich zu verbünden und kulturpolitisch auf mehr Einfluss zu drängen. Und einmal mehr wird deutlich: Um die Zukunft des Kinos aktiv zu gestalten, werden Visionen gebraucht.

Gaby Sikorski