The Killing of a Sacred Deer

Zum Vergrößern klicken

Ein 16-jähriger Junge drängt sich in das Leben eines erfolgreichen Chirurgen und belegt seine Familie mit einem Fluch. Plötzlich ist der kleine Sohn des Arztes gelähmt. Doch damit fängt der Horror erst an. Beklemmendes, packendes und irritierendes Drama um Schuld und Sühne, das den Mythos der Iphigenie auf die Moderne überträgt. Regie führte der griechische Ausnahme-Regisseur Yorgos Lanthimos.

Webseite: www.alamodefilm.de

GB/Irland 2017
Regie: Yorgos Lanthimos
Darsteller: Colin Farrell, Nicole Kidman, Berry Keoghan, Raffey Cassidy, Sunny Suljic
Länge: 121 Min.
Verleih: Alamode
Kinostart: 11.1.2018

FILMKRITIK:

Ein eigenwilliger Regisseur ist Yorgos Lanthimos, 1973 in Athen geboren, ganz bestimmt. Mit „Dogtooth“ gelang ihm 2009 der Durchbruch, es folgte 2011 „Alpen“. „The Lobster“ war 2015 sein erster englischsprachiger Film – drei ungewöhnliche Werke, die so ganz anders sind als dass, was man sonst im europäischen Arthouse-Kino zu sehen bekommt. Das gilt auch für seinen neuen Film, der in seinem Verlauf immer beklemmender und unangenehmer  wird. Und immer faszinierender. Bei den Filmfestspielen von Cannes erhielt der Film den Preis für das beste Drehbuch, an dem Lanthimos mitschrieb.
 
Auf den ersten Blick scheint alles in bester Ordnung. Steven Murphy (Colin Farrell, der schon in „The Lobster“ die Hauptrolle spielte) ist ein erfolgreicher Herzchirurg, seine Frau Anna (Nicole Kidman) arbeitet als Augenärztin. Gemeinsam leben sie mit ihren Kindern Kim und Bob in einer großzügigen, modernen Villa. Doch dann die erste Irritierung: Steven verabredet sich auffallend oft mit dem 16-jährigen Martin, macht ihm Geschenke, geht mit ihm essen. Mehr und mehr drängt sich Martin in das Leben von Steven, besucht ihn unangemeldet im Krankenhaus und lädt ihn sogar nach Hause ein – um ihn mit seiner Mutter verkuppeln. Und dann erfahren wir auch warum: Martins Vater ist bei einer Operation, die von Steven geleitet wurde, gestorben. Will der Junge jetzt Rache? Steven fühlt sich zunehmend von Martin bedroht und weist ihn schroff zurück. Doch dann belegt Martin Stevens Familie mit einem Fluch, der schon bald beängstigende Gestalt annimmt: Dem kleinen Bob versagen plötzlich die Beine, gelähmt muss er ins Krankenhaus. Und damit fängt der Horror erst an.
 
Es geht um Schuld und Sühne, um Tod und Opfer, vielleicht auch um so etwas wie Rache, zumindest aber Gerechtigkeit. Und wer sich ein wenig mit den alten Griechen auskennt, weiß, dass hier der Mythos der Iphigenie Pate stand. Lanthimos überträgt ihn kurzerhand auf die Moderne, fügt übersinnliche Elemente ein und fragt so nach der Verantwortung des Einzelnen. Die Konsequenz, mit der sich Martins Fluch erfüllt, ist grausam und unerträglich. Manchmal möchte man gar nicht mehr hinschauen, zumal Lanthimos seine strenge Versuchanordnung bis zum Schluss, bis zur Erlösung, durchspielt. Dabei streut der Regisseur immer wieder kleine Irritierungen ein, die auf den ersten Blick gar nicht so viel auszumachen scheinen, in ihrer Summe aber die verstörende Wucht des Films bestimmen. Das beginnt schon mit den intimen Begegnungen zwischen Steven und Martin, die der Zuschauer zunächst nicht einordnen kann, weil ihm die Beziehung zwischen den beiden nicht klar ist. Absurd, fast schon bizarr sind Stevens steife Unterhaltungen mit seinen Kollegen, die viel zu offenen Gespräche mit Freunden, der Umgang mit seiner Frau, beim Sex zum Beispiel: Wenn Anna nackt auf dem Bett liegt und so tut, als sei sie ohnmächtig, ist dies ebenso komisch wie verstörend. Ist es wirklich so erregend, mit einer leblos daliegenden Frau zu schlafen? Noch so ein irritierender Gedanke, der einen nicht mehr los lässt.
 
Michael Ranze