VELOCE COME IL VENTO – Giulias großes Rennen

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Die junge Giulia ist ein außerordentliches Rennsport-Talent. Sie fährt um die Meisterschaft mit, bis sie eine sportliche wie private Krise ereilt. Ausgerechnet jetzt taucht nach zehn Jahren  auch noch ihr abgehalfterter Bruder aus der Versenkung auf und meldet Ansprüche an. Doch: er war früher selbst erfolgreicher Rennfahrer und könnte Giulia dabei helfen, das Leistungstief zu überwinden. Das untypische, erfrischende Sport-Drama „Schnell wie der Wind“ überzeugt durch seine unkonventionellen, vielschichtigen Figuren. Er verzichtet auf ausufernde, ermüdende Rennszenen und changiert ausgewogen zwischen Tragik und Komik.

Webseite: www.missingfilms.de

Italien 2016
Regie: Matteo Rovere
Drehbuch: Filippo Gravino, Francesca Manieri, Matteo Rovere
Darsteller: Matilda De Angelis, Stefano Accorsi,
Giulio Pugnaghi, Paolo Graziosi, Roberta Mattei
Länge:  120 Minuten
Verleih: MissingFILMs
Kinostart: 8. Juni 2017

FILMKRITIK:

Giulia De Martino (Matilda De Angelis) ist eine talentierte Rennfahrerin, die bereits als Minderjährige ihre erste GT-Meisterschaft fuhr. Eines Tages jedoch steht jemand vor der Tür, mit dem sie nicht gerechnet hat: ihr Bruder Loris (Stefano Accorsi), ein abgehalfterter, dauerbekiffter Eigenbrötler. Da Loris früher aber selbst ein erfolgreicher Rennsportler war, kommt Giulia auf eine Idee: Loris soll sie trainieren und für den Endspurt der Meisterschaft fit machen. Zumal Giulia gerade in einem Leistungstief steckt. Und gehörig Druck hat, denn: wenn sie die Meisterschaft nicht gewinnt, verliert sie das Haus, in dem sie mit ihrem kleinen Bruder (Giulio Pugnaghi) wohnt, an einen Manager. Diesem schuldete ihr verstorbener Vater noch Geld. Loris geht auf den Deal ein und mit Gegenzug darf der mittellose Bruder bei Giulia im Haus wohnen – der Beginn einer ungewöhnlichen „Zusammenarbeit“.

Die Mischung aus Sportfilm und (Familien-)Drama wurde vom Italiener Matteo Rovere inszeniert, für den „Schnell wie der Wind“ der erste Langfilm seit sechs Jahren ist. Dessen letztes Werk war das gefeierte Drama „Drifters“ (2011). Für fast alle seine Kurz-, Dokumentar- und Spielfilme verfasst der 34-jährige, der auch als TV-Produzent arbeitet, seine Drehbücher selbst. Bestimmte Handlungselemente von „Schnell wie der Wind“ basieren lose auf dem Leben der Rallye-Legende Carlo Capone. Der italienische Profi-Rennfahrer wurde 1984 Rallye-Europameister.

Das Herzstück des Films ist ganz klar die ambivalente, zwischen Abneigung und Sympathie schwankende Beziehung zwischen den beiden Geschwistern. Sie gibt in gewisser Weise das Tempo des Films vor, denn das Verhältnis zwischen Giulia und Loris ist vom aufbrausenden Wesen und den vielschichtigen Charakterzügen der Beiden, geprägt. Diese Entscheidung von Regisseur Rovere war klug, denn so verkommt der Film nicht zu einem belanglosen, spannungsarmen Sportfilm vom Reißbrett mit lediglich am Rande thematisierten familiären Konflikten und allzu ermüdenden Rennszenen. Dies alles ist bei „Schnell wie der Wind“ nicht der Fall.

Großartig ist die schauspielerische Darbietung von Stefano Accorsi als heruntergekommener, ungepflegter Taugenichts Nico. Seine Drogensucht wurde dem früheren, erfolgreichen Rennfahrer einst zum Verhängnis und von den Rauschmitteln ist er heute noch nicht los. Für seine Schwester ist Loris nichts weiter als ein arbeitsloser Versager „ohne Zähne“, der es nach eigener Aussage egal ist, was mit ihm passiert. Denn Nico hat Schuld auf sich geladen: Zehn Jahre hat er sich nicht  bei seiner Familie gemeldet, von der Existenz des kleinen Bruders Nico wusste er nichts und jetzt erscheint er auf der Bildfläche und meldet auch noch Ansprüche an.

Tragik und Komik liegen im Film zudem ganz dicht beieinander. Zumeist ist es Giulia (überzeugend: Matilda De Angelis), die das Pech und Unglück gepachtet zu haben scheint. Gewinnt sie die Meisterschaft nicht, drohen ihr und ihrem Bruder der Verlust des Hauses und kurz vor dem letzten Rennen widerfährt ihr auch noch ein folgenschwerer Unfall. Für die heiteren Töne und entspannten Momente ist Loris verantwortlich. Auch wenn man als Zuschauer Giulia verstehen kann, die sich zu Recht über seine herablassende Art und laissez-faire-Einstellung ärgert: er ist irgendwo doch ein sympathischer Paradiesvogel mit fettigen Haaren, der das Herz am rechten Fleck hat.

Zwischendrin streut Rovere hier und da die obligatorischen Rennszenen ein, die aber stets rasant und spektakulär gefilmt sind. Spannend gestaltet sich in erster Linie das Herzklopf-Finale, das fast ausschließlich auf der Rennpiste angesiedelt ist und in dem Loris eine entscheidende Rolle spielt. Die Momente auf der Piste nehmen aber lediglich rund 20 Prozent des ganzen Films ein. Ganz zum Schluss unterwandert Rovere geschickt und mit einem Augenzwinkern dann noch die Erwartungen des Zuschauers und gönnt Loris einen abschließenden unterhaltsamen Auftritt.

Björn Schneider