Vergiftete Wahrheit

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David gegen Goliath: Robert Billot, ein unscheinbarer Wirtschaftsanwalt, legt sich 1998 mit DuPont, einem der weltweit größten Chemiekonzerne, an und deckt den sogenannten Teflon-Skandal auf. Ein Kampf, für den Bilott bereits 2017 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Todd Haynes, eigentlich bekannt für seine Melodramen („Carol“), machte daraus einen packenden Wirtschaftsthriller, der an zahlreiche Vorbilder erinnert und doch eine eigene Handschrift trägt. Hauptdarsteller Mark Ruffalo war das Thema so wichtig, dass er den Film auch co-produzierte.

Webseite: www.vergiftetewahrheit.de

USA 2019
Regie: Todd Haynes
Darsteller: Mark Ruffalo, Anne Hathaway, Tim Robbins, Bill Camp, Mare Winningham, Bill Pullman, William Jackson Harper
Länge: 126 Min.
Verleih: Tobis
Kinostart: 8. Oktober 2020

FILMKRITIK:

Cincinnati 1998. Robert Billot arbeitet als Anwalt für Taft Stettinius & Hollister, eine Kanzlei, die vor allem riesengroße Konzerne vertritt, zum Beispiel DuPont, eine Industriellenfamilie, die ihr Vermögen mit Waffen und Schiesspulver während des amerikanischen Bürgerkrieges gemacht hat und dann zum größten Chemiekonzern Amerikas aufstieg. Und damit ist auch schon der Interessenkonflikt benannt, in der Billot plötzlich steckt. Soeben ist er zum Teilhaber von Taft Stettinius & Hollister ernannt worden. Da erfährt er von Wilbur Tennant, einem Milchbauern aus Parkersburg in West Virginia, dass DuPont einfach seine hochgiftigen Abwässer in ein nahegelegenes Reservoir leitet. Unvermeidliche Folge: Tennants Kühe werden krank oder verrückt (wie eine Szene drastisch veranschaulicht) und geben keine Milch mehr. Schlimmer noch: Sie sind bereits zu Dutzenden verendet. Natürlich ist Tennant im Recht. Doch DuPont ein Versagen, vielleicht sogar Absicht zu unterstellen, wird nur schwer zu beweisen sein. Gegen den Willen seiner Kollegen macht sich Billot an die Arbeit. DuPont schüttet ihn einfach mit Hunderten von Kisten an Akten zu, in der Hoffnung, dass der Anwalt an der Durchsicht scheitern wird. Doch der wird rasch fündig. Immer wieder fällt ihm die Formel „PFOA“ ins Auge, eine giftige Vorraussetzung für DuPonts lukrativsten Klassiker: Teflon.

Mark Ruffalo, der den Film auch co-produzierte, spielt diesen Billot als kleinen, pummeligen, zurückhaltenden Kerl, der sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen scheint. Er ist klug, er hat moralische Grundsätze. Doch schon seine plumpe Körpersprache signalisiert, dass er im Streit mit DuPont unterlegen sein könnte. Ein Kampf David gegen Goliath also, und was nun folgt, ist einer dieser Recherche-Thriller im Stil von Michael Manns „The Insider“, Steven Zaillians „Zivilprozess“ oder Sidney Lumets „The Verdict – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“, in denen sich ebenfalls einsame Streiter mit großen Konzernen anlegten. Manchmal könnte man auch an einen dieser paranoiden Thriller aus den 1970er Jahren denken, Alan J. Pakulas „Zeuge einer Verschwörung“ zum Beispiel, weil hier DuPont, auch mit seiner Verbindung in Regierungskreise, übermächtig erscheint. Warum da noch kämpfen? Antwort: Weil es das Richtige ist. Dass ausgerechnet Regisseur Todd Haynes („Carol“), ein Meister des Melodrams, sich dieses authentischen Stoffes annehmen würde, ist zunächst eine Überraschung. Und doch macht es Sinn. Haynes kümmert sich, neben dem „Fall“, auch um die Beziehungen zwischen den Menschen, Billots anfängliches Zögern Tennant gegenüber, die Unterstützung durch seinen Boss Tom Terp (dargestellt von Tim Robbins, der Mark Ruffalo um einen Kopf überragt) und die Liebe seiner Frau Sarah – Anne Hathaway spielt sie –, die Angst um ihre Familie und die Zukunft hat, aber trotzdem an der Seite ihres Mannes steht. Stilistisch folgt Haynes den bekannten Versatzstücken des Gerichtsthrillers, mit Argumenten und Gegenargumenten, mit überraschenden Twists und undurchsichtigen Zeugen, mit Triumphen und Niederlagen. Doch das ist nicht schlimm. „Vergiftete Wahrheit“ ist ein starker und beklemmender Film, mit einem Thema, das bis in die Gegenwart reicht, wenn man an die Klimadebatte mit teils abstrusen Gegenargumenten denkt, mit einem starken Mark Ruffalo, der so ein bisschen an die Jedermänner erinnert, die James Stewart für Frank Capra gespielt hat. Wissenschaftler gehen übrigens davon aus, dass so gut wie jeder Mensch PFOA in seinem Körper hat. Es baut sich nicht ab. Und das ist der eigentliche Skandal.

Michael Ranze


Viele verheerende Umweltskandale gelangen nur durch Zufall an die Öffentlichkeit. Und meist dauert es Jahre bis sie ihren Weg auf die große Leinwand finden. Das aufrüttelnde Biopic-Drama von Regisseur Todd Haynes ist mehr als ein atmosphärisch dichter Thriller. Sein aufwühlendes Independent-Kino, mitproduziert von Charakterdarsteller Mark Ruffalo, lenkt den Blick auf den unerschrockenen Unternehmensanwalt Robert Bilott, der den skrupellosen Chemiekonzern DuPont anklagt. Grund: Wissentlich vergiftete DuPont das Wasser mit der Chemikalie, die verwendet wird, um Teflon herzustellen. Zu Recht vertraut Hayes in dem gesellschaftspolitisch relevanten und brisanten Film auf seinen großartigen Hauptdarsteller, Umweltaktivist, Marvel-Star und Hulk-Darsteller Mark Ruffalo.

Wie einst im erfolgreichen Ökothriller „Erin Brokovich“ ist das Schicksal des Alltags-Helden aus dem Leben gegriffen, ganz nach dem Motto: Life is stranger than fiction. Und so präsentiert Regisseur Todd Haynes („Carol“) Hollywood-Kino von seiner besten Seite. Seine schnörkellose Inszenierung mit Independent-Blick überzeugt. Dabei bleiben Haynes und die Kamera bei der spannenden, fast kriminalistischen Recherche, nah an ihrem Helden. Stück für Stück kommt der aufrechte Jurist Robert Bilott in dem packenden Politdrama der Wahrheit näher, während er sich verzweifelt mit der Verschleierungstaktik des Chemieriesen und den Tücken des amerikanischen Rechtssystems herumschlägt.

Die intensive Whistle-Blowergeschichte beginnt beinahe wie ein Horrorfilm. West Virginia, 1998. Qualvoll verenden die Kühe mit bösartigen Tumoren von Farmer Wilbur Tennant (Bill Camp) reihenweise. Schon die Kälber werden mit Verstümmelungen geboren. Der Bauer aus West Virginia weiß sich nicht mehr zu helfen. Doch er hat einen Verdacht. Denn das Werk des Chemiekonzern DuPont in Pakersburg entsorgt seit Jahren heimlich seinen flüssigen Giftmüll in nahegelegenen Bächen und Seen. Als größter Arbeitgeber der Region scheint der Chemieriese jedoch unangreifbar.

Zusammen mit seinem Bruder Jim (Jim Azelvandre) fahrt Tennant deshalb schließlich nach Cincinnati. Die beiden wagen sich in die Welt glitzernder Hochhausfassaden, in der die renommierte Kanzlei Anwaltskanzlei Taft Stettinius & Hollister residiert. Stur verlangen sie nach Wirtschaftsanwalt Rob Bilott (Mark Ruffalo). Der spielte einst als Kind auf ihrem Bauernhof. Seine Großmutter lebt immer noch in der Gegend. „Ich verteidige Chemieunternehmen“, versucht der Jurist freilich zunächst abzublocken.

Aber dann lässt er sich überreden das Desaster vor Ort anzuschauen. Er fährt in seine ehemalige Heimat. Wenn dabei aus dem Autoradio „Country Road“ eines der bekanntesten Folk-Stücke der 1970er Jahre tönt, passt das wie die Faust aufs Auge. Der Sänger John Denver griff schon damals auf seinen Alben Umweltthemen auf. Doch was Rob Bilott zu sehen bekommt, übersteigt seine Vorstellung. Obwohl er normalerweise für die Gegenseite arbeitet, wechselt er danach die Seiten.

Trotz seines Interessenskonflikts will der gewissenhafte Jurist den Fall vorbehaltlos aufklären. Er schafft es sogar, dass sein Chef Tom Terp (Tim Robbin) ihn dabei unterstützt. Unermüdlich wühlt er sich durch riesige Aktenberge, mit denen ihn der Konzern zermürben will. Um sich ein Bild machen zu können, befragt er einen befreundeten Chemiker, mit dem er sich heimlich trifft. Und tatsächlich findet er belastende Beweise. Sie deuten auf einen Umweltskandal von ungeheurem Ausmaß hin. Ihm wird klar: Dupont vergiftet das Trinkwasser durch seine gefährliche Chemikalie PFOA.

Langsam begreift er, dass Konzernmanager Phil Donnelly (Victor Garber) und seine Gefolgschaft, in nicht zu überbietendem Zynismus, wissentlich handelten und Umweltbehörden belogen. Menschenverachtend zählt einzig der Profit. Die Politik ist längst Spielball der Wirtschaftsgiganten. Doch die langwierige Auseinandersetzung, über zwei Jahrzehnte hinweg, zerrt an seinen Nerven, schädigt seinen Ruf. Trotzdem hält er jahrelang durch und kämpft für die Geschädigten. Selbst, wenn ihm diese Sache das Leben kosten sollte.

Was als regionaler, nationaler Umweltskandal beginnt, endet für den Zuschauer mit dem Wissen, um das globale Ausmaß dieser Umweltvergiftung. Bereits bei 98 Prozent der US-Bevölkerung wurde inzwischen der Schadstoff PFOA im Blut nachgewiesen. Die krebserregende Chemikalie ist weltweit allgegenwärtig. Sie ist Bestandteil von Regenmänteln, Schirmen, Outdoor-Kleidung und anderen fleck- und wasserabweisenden Materialien, sowie von vielen beschichteten Aufbewahrungsbehältern.

In Europa soll sie endgültig bis 2025 verboten werden. Selbst die Vereinten Nationen stuften die nicht abbaubare Chemikalie als giftige Substanz ein. Im echten Leben wurde Rob Bilott, der bis heute nicht aufhört weiterzuarbeiten, für sein aufopferungsvolles Engagement 2017 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

Luitgard Koch