Wir töten Stella

Zum Vergrößern klicken

Nach „Die Wand“ verfilmt Julian Roman Pölsler erneut einen Roman von Marlen Haushofer, erneut mit Martina Gedeck in der Hauptrolle, die diesmal weniger durch äußerliche Umstände isoliert ist, als durch eigene Entscheidungen. Ein psychologisches Kammerspiel ist „Wir töten Stella“, von einer kalten Ehe wird erzählt, manieriert, bewusst leblos, aber sehr eindrucksvoll.

Webseite: www.picturetree-international.de

Österreich 2017
Regie: Julian Roman Pölsler
Buch: Julian Roman Pölsler, nach dem Roman von Marlen Haushofer
Darsteller: Martina Gedeck, Matthias Brandt, Mala Emde, Julius Hagg, Alana Bierleutgeb,
Länge: 98 Minuten
Verleih: AV Visionen Filmverleih/ Picture Tree International
Kinostart: 18. Januar 2018

FILMKRITIK:

Anna (Martina Gedeck) ist Ehefrau und hat sich in ihre Rolle gefügt, sich damit abgefunden. Ihr Mann Richard (Matthias Brandt) ist erfolgreicher, machtbewusster Anwalt, der spät nach Hause kommt und erwartet, dass Stella den Haushalt führt und ihn bedient. Die Kinder Anette (Alana Bierleutgerb) und besonders Wolfgang (Julius Haag) leben zwar noch im Haus, scheinen aber nur noch körperlich anwesend zu sein, während sie sich innerlich schon von ihren Eltern lösen, man könnte auch sagen: Das Weite suchen.

Auf seine Weise funktioniert dieses Konstrukt, aber wie fragil es in Wirklichkeit ist zeigt sich als Stella (Mala Emde) – die Tochter von Freunden, die auf unbestimmte Zeit bei der Familie wohnt – auftaucht. Wie ein Eindringling wirkt Stella, wie ein Fremdkörper, der das nur mühsam etablierte Gleichgewicht aus den Fugen bringt. Unweigerlich, fast schicksalhaft gerät Stella zwischen Anna und Richard und ist am Ende Tod und Anna mit einer tatsächlichen oder eingebildeten Schuld allein.
„Ich bin allein“ ist auch der erste Satz, den Anna spricht, am Fenster stehend, sinnierend, bevor sie beginnt, das, was der Zuschauer in den folgenden 100 Minuten sehen wird, aufzuschreiben. Es ist eine betont passive Rolle, in der Julian Roman Pölsler Martina Gedeck besetzt, die kaum einen substanziellen Dialog mit den anderen Figuren hat, dafür umso mehr über das Geschehene nachdenkt. Darüber was passiert ist, welche Rolle Stella in der Familie gespielt hat, wie sie ums Leben kam, ob der Autounfall tatsächlich ein Unfall war, Selbstmord oder noch etwas anderes.

Eigentlich extrem unfilmisch ist die Erzählweise, der ausufernde Voice Over-Kommentar, in dem Gedeck die Sätze aus Marlen Haushofers 1958 erschienenem Roman spricht, doch die Künstlichkeit passt zu der menschlichen Versuchsanordnung, die Pölsler inszeniert. War es in „Die Wand“ noch die weite Natur, in der sich eine Frau isoliert sah, ist es nun ein schmuckes Haus in einem guten Viertel, in dem weite Teile der Handlung spielen. Einmal zitiert Pölsler unmittelbar die Wand, versucht Anna im Traum das Haus zu verlassen und stößt an eine unsichtbare Mauer, so wie die unsichtbare Kuppel, die Wand, die Gedecks Figur in Die Wand“ am Ausbruch hinderte.

Hier ist es die Struktur der Ehe, die Anna gefangen hält, ihr Glaube, den Erwartungen ihres Mannes, denen der Gesellschaft zu entsprechen, sich zu fügen in die Rolle der Hausfrau, die auch die Affären ihres Mannes toleriert. Wenn Anna da Stella, die anfangs noch wie ein verhuschtes Mäuschen wirkt, dazu bringt, sich in eleganten, aufreizenden Kleidern zu zeigen, deren Wirkung auf Richard nicht zu übersehen ist, wirkt es fast so, als würde sie in einem Moment der Autoaggression dafür sorgen, dass Richard eine Affäre mit Stella beginnt. Wenn dann das Unweigerliche passiert muss Anna nur noch zusehen, wie Stella zunehmend von ihren Emotionen überfordert ist, zum Spielball des Paares wird, die zwar nicht gemeinsame Sache machen, aber in gewisser Weise doch ein junges Mädchen benutzen.

Auch wenn die Vorlage fast 60 Jahre alt ist, aus eine anderen Zeit stammt, vieles sich inzwischen verändert hat, die Gesellschaft, das Verhältnis von Mann und Frau, die Rolle der Frau an sich, wirkt „Wir töten Stella“ dennoch nicht angestaubt. In einer zeitlosen, ortslosen Welt inszeniert Pölsler seinen Film, so stilisiert wie ein Kammerspiel, so manieriert wie eine griechische Tragödie und doch durch und durch filmisch. Schön ist es zwar nicht, das Menschenbild, das hier gezeigt wird, aber es ist eindrucksvoll und wahrhaftig.

Michael Meyns