Yung

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Das Regie-Debüt „Yung“ folgt Janaina, Emmy, Joy und Abbie in die pulsierende Subkultur des modernen Berlin. Für die vier Freundinnen zwischen 16 und 18 Jahren gilt das Lustprinzip: Sie machen, wonach ihnen der Sinn steht. Sie nehmen Drogen, haben Sex, lassen sich durch die Nacht treiben und geben ihren Trieben nach. Filmemacher Henning Gronkowski porträtiert mit seinem expliziten, dokumentarisch gefärbten Drama den Lebensstil der Generation „Z“ zwischen Maßlosigkeit, Suchtgefahr und Exzess.

Webseite: yungfilm.com

Deutschland 2018
Regie & Drehbuch: Henning Gronkowski,
Darsteller: Emily Lau, Janaina Liesenfeld, Joy Grant, Abbie Dutto, Gauliana Savari, Malik Blumenthal
Länge: 95 Minuten
Verleih: Wild Bunch
Kinostart: 28. November 2019

FILMKRITIK:

Janaina (Janaina Liesenfeld), Emmy (Emily Lau), Joy (Joy Grant) und Abbie (Abbie Dutton) leben in Berlin. Dort genießen sie das Nachtleben und kosten die hedonistische Seite der Metropole aus. Während sich Janaina ihr Taschengeld mit Webcam-Sex aufbessert realisiert Emmy nicht, dass sie immer tiefer in den Strudel der Abhängigkeit gerät. Unterdessen ist Joy die meiste Zeit damit beschäftigt, Drogen zu verkaufen und über die Bedeutung von Liebe zu sinnieren. Die 16-jährige Abbie hingegen hat schon genaue Vorstellungen von ihrer Zukunft: Sie will in die Stadt der Engel, nach Los Angeles, und dort ihr Glück versuchen. Alle vier stehen an der Schwelle zum Erwachsenwerden und gehören der „Lost Generation“ an. Einer scheinbar ruhelosen, getriebenen Generation zwischen allem und nichts.

Es ist eine gleichermaßen befremdliche wie befreiende Szene, wenn Janaina in einem Moment noch mitten im Webcam-Strip steckt, plötzlich aber ihre Mutter an die Zimmertür klopft und fragt ob, sie schon ihre Hausaufgaben gemacht habe. Außerdem sei das Abendessen bald fertig. Eine surreale Situation, über die selbst Janaina schmunzeln muss. Und die verdeutlicht, dass hier zwei Welten unmittelbar aufeinander treffen: Die Paralleldimension der sexuellen Freiheiten und Freizügigkeiten, die drogengeschwängerten Partynächte in den Clubs und Rauschzustände einerseits. Und die „reale“ Welt, der Alltag, andererseits: die Schule (die Protagonistinnen stehen kurz vor dem Abi), das Lernen und das Zusammenleben mit den Eltern.

Regie-Debütant Henning Gronkowski, der auch das Drehbuch verfasste, verfolgt in „Yung“ eine interessante, dokumentarische Herangehensweise, die große Unmittelbarkeit erzeugt. Nahezu alle Figuren werden von Laiendarstellern verkörpert. Sie spielen sich entweder selbst oder nur leicht abgewandelte Versionen ihrer selbst. Wie es die vier Hauptdarstellerinnen tun, die in eingeschobenen Interview-Sequenzen immer wieder direkt in die Kamera blicken und offen über ihr Leben, die ausschweifenden Partys und ihre Befindlichkeiten sprechen. In genau diesen Momenten meint man, die „echten“ Personen hinter den Figuren zu sehen. Ungeschminkt und authentisch. Doch sicher sein kann man sich nicht. Fiktion und Realität vermengen sich und das macht einen ungeheuren Reiz des insgesamt eher handlungsarmen Films aus.

Ein Film, der, so wirkt es in Ansätzen hier und da, so manch eine, als „typisch männlich“ erachtete (sexuelle) Fantasie wahr werden lässt. Wenn sich Janaina und Emmy unerwartet näher kommen, anonymer Sex mit nahezu jedem und jeder uneingeschränkt möglich scheint und sich die Figuren (vor allem auch die weiblichen) expliziter Sprache bedienen, könnte der Eindruck entstehen, dass sich ein männlicher Regisseur hier seine eigene Traumwelt kreiert. Eine Art nostalgische Wunsch-Realität, in der Feiern und der Rausch über allem stehen – zumal Filmemacher Gronkowski selbst jahrelang der subkulturellen Berliner Clubbing-Kultur angehörte. Doch es ist nur ein erster Eindruck. Bei genauerer Betrachtung ist „Yung“ nämlich mehr als ein oberflächlicher Party-Film oder eine ins digitale Zeitalter manövrierte, ideenlose Mischung aus „Kids“, „Ken Park“ und „Christiane F".

Denn die Protagonistinnen sind sich durchaus bewusst, welchem Risiko sie sich aussetzen und dass die Gefahr der Sucht (nach Drogen, Alkohol, Sex) stets über allem schwebt. Blickt man hinter die Fassade – und hört den Dialogen genau zu – handelt es sich bei Janaina, Emmy, Joy und Abbie um aufgeweckte junge Frauen, die in der Lage sind kritisch zu reflektieren und Dinge zu hinterfragen. „Ich bin in der Blüte meiner Jugend“, sagt Emmy in einer Szene zu Janaina. Diese entgegnet: „Ja, jetzt noch.“ Und macht damit deutlich, dass ihr die Vergänglichkeit der Jugend ebenso wie die Endlichkeit dieses ausgelassenen, sorgenfreien Party-Daseins schmerzlich bewusst sind. 

Björn Schneider