Zeit für Utopien

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„Versuchen wir das Unmögliche“ hat Che Guevara einst gefordert, ein Motto, dem auch die Protagonisten von Kurt Langbeins Dokumentation „Zeit für Utopien - Wir machen es Anders“ zu folgen scheinen. Gemeinsam ist ihnen der Versuch, die Welt von unten, im Kleinen zu verändern, was zwar mühsam erscheinen mag, aber wohl der einzige Weg ist.

Webseite: www.zeit-fuer-utopien.com

Dokumentation
Österreich 2018
Regie: Kurt Langbein
Buch: Kurt Langbein & Anna Katharina Wohlgenannt
Länge: 95 Minuten
Verleih: Langbein & Partner, Vertrieb: Die Filmagentinnen
Kinostart: 19. April 2018

FILMKRITIK:

Nachhaltigkeit ist eines dieser Modeworte, das die meisten halbwegs aufgeklärten Menschen unterschreiben würden ohne oft zu wissen, was denn genau damit gemeint ist. Zum Beispiel das, was als solidarische Landwirtschaft bezeichnet wird und in immer mehr Gegenden Deutschlands und Österreich betrieben wird. Die Grundidee dahinter ist einfach: Verbraucher kaufen ihr Obst und Gemüse nicht mehr im Supermarkt, sie kaufen strenggenommen gar nicht mehr. Denn statt einzelne Produkte zu bezahlen, statt für ein Kilo Äpfel oder Kohl zu zahlen, stecken sie das Geld in die Unterstützung eines landwirtschaftlichen Betriebs. Nicht mehr das Produkt wird also bezahlt, sondern der Erhalt eines Unternehmens. Der einzelne Verbraucher ist dadurch also nicht mehr Konsument, sondern Genossenschafter, der durch diese auch emotionale Nähe zum Hersteller ein größeres Interesse an dessen wirtschaftlichen Überleben bekommen soll.

Ein Prinzip, dass inzwischen in vielen Bereichen Anwendung findet, in bestimmten Bereichen des Online-Journalismus etwa, dass aber gerade in Bezug auf die Landwirtschaft auch einen weiteren Vorteil hat: Die Förderung der Regionen. Nicht mehr aus weit entfernten Ländern wird ein bestimmtes Obst oder Gemüse transportiert (mit den enormen Folgekosten, die gern ignoriert werden) sondern aus nahe gelegenen Anbaugebieten. Hier liegt dann allerdings auch die Krux des Ganzen, denn die Beschränkung der Herkunftsregionen bedeutet natürlich auch eine Beschränkung der schier unbegrenzten Auswahl, an die sich der Konsument im Kapitalismus ja eigentlich gewöhnt hat.

Doch wenn man die Welt retten, sie zumindest ein bisschen besser machen will, dann reicht es eben nicht aus, einfach ein wenig anders zu konsumieren, einfach den einen Konsum durch einen anderen zu ersetzen, dann ist es vielleicht endlich an der Zeit, tatsächlich weniger zu konsumieren. Ob solche hehren Vorsätze Massentauglichkeit besitzen ist stets die Frage, die bei engagierten Dokumentationen wie dieser mitschwingt. Manches Mal hat man da das Gefühl, als würden Filmemacher allzu naiv an ihr Thema herangehen und glauben, dass Lösungen, die für eine kleine Gruppe Menschen funktioniert, die sich freiwillig zu einem Schritt zusammengeschlossen haben, auch auf Millionenstädte anwendbar sind.

Die Reflektierenden dieser Aufklärungsfilme - und Karl Langbeins Film darf man dazu zählen - nehmen eine andere Haltung ein. Sie zeigen Projekte auf, deuten Möglichkeiten an, wie das Konsumverhalten verändert werden kann, tun aber nie so, als hätten sie Lösungen für sämtliche Probleme der Welt. Im Gegenteil zeigen sie auch die Probleme von Projekten wie dem sogenannten Fairphone auf, einem Smartphone, dessen Hersteller versuchen, möglichst nachhaltig zu produzieren. Was in den Minen Afrikas, wo das für technische Geräte benötigte Gold oder Kobalt abgebaut wird, allerdings bislang nur bedeutet, dass die Minenarbeiter nicht mehr unter katastrophalen Bedingungen arbeiten, sondern nur noch unter schlechten. Doch ist dies zu wenig? Oder nicht der Anfang, der nötig ist, um die Ausbeutungsstrukturen zu durchbrechen? Ideal ist die Situation der Arbeiter zwar noch nicht, aber besser, vor allem selbstbestimmter als vorher in jedem Fall. Ähnliches lässt sich auch über die Landwirtschaftsprojekte in Westeuropa sagen, die zwar erst im Kleinen funktionieren, die von einem Großteil der Verbraucher noch gar nicht wahrgenommen werden: Aber ein Anfang ist gemacht und wie es weitergeht hängt, von jedem einzelnen Menschen selbst ab.

Michael Meyns