A Symphony of Noise

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Die Geräusche der Welt konservieren, zu neuen, eigenen Musikstücken zusammenbauen und die Wahrnehmung von Alltagstönen verändern – das sind die erklärten Ziele des Geräusch-Künstlers und Klangerzeugers Matthew Herbert. Er steht im Zentrum der stark durchkomponierten, sehenswerten Doku „A Symphony of Noise“, die dem Protagonisten sehr nahe kommt und ein gutes Gespür für Timing besitzt. Sie widmet sich einem außergewöhnlichen Mann, der keine Experimente scheut und neue Wege beschreitet.

Website: https://riseandshine-cinema.de/portfolio/a-symphony-of-noise

Deutschland 2021
Regie: Enrique Sánchez Lansch
Drehbuch: Enrique Sánchez Lansch
Länge: 91 Minuten
Verleih: Rise and Shine Cinema
Kinostart: 02.09.2021

FILMKRITIK:

Seit über zwei Dekaden ist der britische Sound-Artist Matthew Herbert dem Klang der Dinge und der Welt auf der Spur. Egal ob Motorsägen-Lärm, das Geräusch eines Schweins auf einem Bauernhof oder Umgebungsklänge aller Art. Hebert zeichnet die Soundlandschaften um sich herum auf und nutzt sie als Samples in seinen elektronischen oder experimentellen Stücken. Sein Anliegen: Er möchte, dass wir der Welt auf ganz neue Art zuhören und ihr Aufmerksamkeit schenken. In der Doku „A Symphony Of Noise“ begleitet der in Berlin lebende Regisseur Enrique Sánchez Lansch den Konzeptkünstler in seinem Alltag.

Lansch folgt seinem Porträtierten über einen Zeitraum von rund zehn Jahren und die Vertraut- sowie Verbundenheit zwischen Beiden merkt man den Gesprächen sofort an. Nichts wirkt aufgesetzt oder gestellt und wenn Herbert dem Regisseur von seiner Motivation und seinem Berufsverständnis berichtet, dann sind das wahrhaftige, zum Teil sehr intime Äußerungen und Bekenntnisse.

So schildert er ihm seine ersten musikalischen Gehversuche und die frühen Experimente mit Klangkulissen und Alltagsgeräuschen – die er anschließend in eigene, avantgardistische Produktionen oder bizarr-befremdliche, aber ebenso akustisch beeindruckende Collagen verwandelte. Er habe sich damals gefühlt wie Stephen Hawking, Jesus und Jimi Hendrix zusammen, sagt er. Und die Beschreibung trifft es wunderbar, denn Herbert bringt Technik, Kunst, Experimentierfreude und Bewusstseinserweiterung zusammen. Das beweisen die Reaktionen des Publikums, die Lansch anhand ausgewählter Konzertausschnitte immer wieder ungefiltert einfängt und in seine Doku einbaut.
So zum Beispiel jener Moment, in dem Herbert in voller Lautstärke ein besonders durchdringendes Geräusch präsentiert, eingebettet in instrumentale Soundpatterns: das Geräusch, das beim Ziehen seines Zahns entstand. Ein Raunen geht durchs Publikum, welches durch die selbstironischen, augenzwinkernden Kommentare des Künstlers jedoch kurz darauf gebrochen und in ein befreiendes Lachen verwandelt wird. Überhaupt sind es das sympathische, offene Wesen Herberts und sein entwaffnender Sinn für (klugen) Humor, den Lansch auf der Bühne und in den Gesprächen gekonnt und in leisen Zwischentönen dokumentiert.

Herbert fängt die – scheinbar – absurdesten Ton-Kulissen und interessantesten Sounds ein, auf die er trifft und die ihm begegnen. Der Klang eines Baumstamms, von zerdrückten Eierschalen, den Biss in einen Apfel oder eines (kein Witz) frittierten Blechblasinstruments. Doch er nimmt all dies und bettet das Aufgezeichnete in einen größeren, gesellschaftlichen Kontext ein. Oder unterfüttert es mit politischen Botschaften und Erkenntnissen.

Er wolle die Wahrnehmung unserer alltäglichen Klänge verändern, meint er an einer Stelle des Films. Dies gelingt ihm nachdrücklich, was er nicht zuletzt im Zusammenspiel mit seiner „Brexit Big Band“ beweist, die den Gegenpart zur britischen Regierung darstellt und sich nicht konträrer positionieren könnte: Herbert und seine Mitmusiker feiern die (europäische) Zusammenarbeit und die kreativen Kooperation über Landesgrenzen hinweg.

Björn Schneider