A Woman Captured

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Die ungarische Filmemacherin Bernadett Tuza-Ritter beobachtete anderthalb Jahre lang eine Frau, die als Sklavin bei einer reichen Familie lebt. Sie wird ausgebeutet, wie ein Tier behandelt und bekommt nur wenige Stunden Schlaf. „A Woman Captured“ ist das schonungslose, beklemmende Porträt einer ums Überleben kämpfenden Frau und dokumentiert das unendliche Leid privater Haussklaven, die entrechtet werden - und von denen es allein in Europa Schätzungen zufolge über eine Million gibt.

Webseite: www.partisan-filmverleih.de

Ungarn 2017
Regie & Drehbuch: Bernadett Tuza-Ritter 
Länge: 85 Minuten
Kinostart: 11. Oktober 2018
Verleih: Partisan

FILMKRITIK:

„A Woman Captured“ zeigt den Alltag der Ungarin Marisch, die seit zehn Jahren als Sklavin gehalten wird. Sie dient einer Familie, die ihre Ausweisdokumente konfisziert hat. Die Polizei im Land bleibt im Kampf gegen diese Form des Missbrauchs untätig. Deshalb ist Marisch abhängig von Eta und ihrer Familie, denn so hat sie immerhin ein Dach über dem Kopf. Doch Eta nutzt Marischs missliche Lage schamlos aus: Sie darf das Haus nur mit ausdrücklicher Erlaubnis verlassen und der Kontakt zu anderen Menschen ist verboten. Das Geld, das sie in ihrem Hauptberuf als Fabrikarbeitern verdient, muss sie an Eta abgeben. Ihre Tochter hat Marisch seit Jahren nicht mehr gesehen. Auch deshalb träumt sie von Flucht.

Die Nichtregierungsorganisation „Walk Free Foundation“ geht davon, dass weltweit über 45 Millionen Menschen versklavt sind – auch wenn in keinem Land der Welt Sklaverei offiziell erlaubt ist. Am häufigsten anzutreffen sind Zwangsprostitution, Zwangsarbeit und häusliche Knechtschaft. Die brutale Knechtschaft, der Marisch ausgesetzt ist, dokumentiert Bernadett Tuza-Ritter. Sie legt mit „A Woman Captured“ ihre dritte Dokumentation vor. Weltpremiere feierte die Produktion im Hauptwettbewerb des „International Documentary Film Festival“ 2017 in Amsterdam.

„A Woman Captured“ ist ein aufrüttelnder, fassungslos machender Film. Das Leben, in dem Marisch gefangen ist und aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint, ist ein würdeloses. Das macht der Film unmissverständlich und ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten des Zuschauers klar. Denn die Kamera reicht Marisch nicht mehr von der Seite und wird zu ihrem täglichen Begleiter. Die Regisseurin selbst hält sich zurück, auch erklärende Kommentare liefert sie keine. Die Bilder sprechen für sich. Dies hat zur Folge, dass man das Elend der Hauptfigur hautnah miterlebt: Etwa wenn sie von ihrer Herrin unentwegt als „dumm“ und „wertlos“ beschimpft und wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt wird. Oder man sie zu den täglichen, kraftraubenden Haushaltsarbeiten zwingt und die Essensreste vom Tag zuvor vorsetzt. Das alles hat Spuren hinterlassen: Marisch wirkt mit ihren tiefen Furchen und unzähligen Falten im Gesicht, den fehlenden Zähnen, der gebückten Körperhaltung und der leisen, brüchigen Stimme wie eine 80-Jährige Greisin. Tatsächlich aber ist sie 52 Jahre alt. 

Eta und ihre Familie sind nicht zu sehen. Sie wollten nicht gefilmt werden. Zudem musste Tuza-Ritter Eta bezahlen, um Filmaufnahmen von Marisch machen zu dürfen. Auch deshalb konzentriert sich in „A Woman Captured“ alles auf die Porträtierte, die in fast jeder Szene zu sehen ist. Doch Tuza-Ritter gibt sich keinem Elendsvoyeurismus hin. Denn zu Beginn des Projekts hatte die Filmemacherin noch keine Ahnung was sie erwartet.

Geplant war zunächst das reine Porträt einer älteren Dame, die als Haushälterin unter schwierigen Bedingungen für eine Familie arbeitet. Dass Tuza-Ritter mit ihrem Film jedoch solch menschenunwürdige Lebensbedingungen im Europa des Jahres 2018 aufdecken würde, war nicht abzusehen. Doch genau das macht dieses Werk so wichtig: Er gibt moderner Sklaventreiberei in Form von Marisch ein Gesicht. In einer Szene fragt Tuza-Ritter Marisch ob es ihr überhaupt immer noch recht sei, bei all der Arbeit und Erniedrigung gefilmt zu werden. „Ja, unbedingt“, antwortet sie. Denn so erfahre die Welt, was man Menschen wie ihr antue. Und dass Sklaverei kein Relikt aus alten, längst vergangenen Zeiten ist.

Björn Schneider